Neues Deutschland, 22.07.2015

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Von Roland Etzel

Kobane - unsichere Insel in einem feindlichen Meer

Die nordsyrische kurdische Autonomieregion ist ein Störfaktor für viele: die Regierung in Damaskus, die IS-Terrorgruppen und die Türkei

Warum Kobane, warum Suruc? Dort befindet sich eines der größten Flüchtlingslager für Syrer, dort befinden sich aber auch die politischen Antipoden in räumlicher Nähe und stoßen aufeinander.

Suruc, das ist eine knapp 60 000 Einwohner große Kreisstadt an der türkischen Südgrenze. Wenige Kilometer südlich beginnt die Syrische Arabische Republik - derzeit mehr auf dem Papier als in der Realpolitik - mit dem Hauptort Kobane. Noch immer werden große Teile Syriens von der Präsident Baschar al-Assad treuen staatlichen Armee kontrolliert, in der kurdischen Region Kobane aber hat sie schon lange keinen Zugriff mehr.

Doch es ist eine unsichere Existenz, umgeben von mächtigen Feinden. Das sind zum einen die gegen Damaskus Krieg führenden islamisch-fundamentalistischen Milizen. Die bekanntesten unter ihnen sind der Islamische Staat (IS) und die Nusra-Front. Zu beider Feindbild zählen die kurdischen autonomen Gebilde in ihren traditionellen Siedlungsgebieten entlang der syrisch-türkischen Grenze, schon wegen ihres toleranten Islamverständnisses, verbunden mit einer Nähe zu linken, sozialistischen Ideen.

Die Kurden, denen es in den zurückliegenden Monaten gelang, ihre autonomen Inseln in Nordsyrien zu einem zusammenhängenden Gebiet zu verbinden, sind Gegner Assads und damit des syrischen Einheitsstaates, weil sie eine kurdische Eigenständigkeit anstreben - in welcher Form auch immer. Genau daraus erwächst aber auch die prinzipielle Gegnerschaft zum türkischen Staat. Dessen Präsident Recep Tayyip Erdogan hegt großtürkische Vorherrschaftsträume in der Region - vor 100 Jahren war Syrien noch Teil des Osmanischen Reichs - und dabei stört Assad, dessen Sturz Erdogan offen betreibt.

Aber Ankara ist die Freude, dass auch die syrischen Kurden zur Aushöhlung von Assads Zentralmacht beitragen, längst vergangen. Erdogan sieht seit zwei Jahren mit wachsendem Missbehagen, wie immer mehr »seiner« Kurden aus der Osttürkei, die Mitglieder bzw. das linke Umfeld der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), nach Nordsyrien ziehen und dort eine Selbstverwaltungszone aufbauen. Jeden Ansatz für die Gründung eines kurdischen Staates zu verhindern, ist aber trotz allen Dialogs der türkischen Staatsmacht mit PKK-Führer Abdullah Öcalan gerade seit Erdogans Amtsantritt dennoch weiter ein Kernpunkt des türkischen Staatsverständnisses.

Das erklärt Erdogans von großen Teilen der Weltöffentlichkeit voriges Jahr als zynisch bewertetes Abwarten - in des Wortes Sinne Gewehr bei Fuß -, als IS-Milizen Kobane zu überrennen drohten, aber die türkischen Truppen in Schussweite keinen Finger rührten. Kobanes Überleben entsprang dem Zusammentreffen mehrerer Umstände: Es gab eine weltweite mediale Aufmerksamkeit für die in Kobane Eingeschlossenen. Dies veranlasste die USA, die sich gerade nach der Ermordung amerikanischer Geiseln wortreich zum Kampf gegen den Terror der IS-Banden erklärt hatten, zu Luftangriffen gegen deren Stellungen um Kobane. Deshalb sah sich auch Ankara genötigt, den Zustrom kurdischer Kämpfer aus Irak und der Türkei zur Rettung ihrer Brüder in Kobane geschehen zu lassen.

Das weist auf die permanente Konfliktlinie zwischen Ankara und IS. Zwar ist es ein offenes Geheimnis, dass in früheren Jahren verwundete Milizkämpfer im türkischen Hinterland behandelt wurden und überhaupt der finanzielle, personelle und waffentechnische Transit für IS ohne die Drehscheibe Türkei kaum so funktioniert hätte. Dennoch blieb der ideologisch-religiöse Grundkonflikt: IS ist nun einmal eine aus saudi-arabischen Quellen gespeiste Kreatur und daher in grundsätzlicher Feindschaft zu den Muslimbrüdern stehend. Diese aber haben ihren Hauptunterstützer-Staat seit dem Putsch von 2013 in Ägypten wieder in der Türkei.

Es sieht so aus, als hätte sich IS dafür nun rächen wollen, vor allem an den Kurden und linken Kobane-Helfern, die sie als zu vernichtende Ungläubige betrachten. Dass sie dabei auch die Türkei diskreditieren, nehmen sie billigend in Kauf.