Süddeutsche Zeitung, 26.07.2015

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Wie der Kurdenkonflikt Erdoğan nutzt

Es sah nach Frieden aus zwischen Türken und Kurden. Jetzt ist das Blutvergießen zurück - und Präsident Erdoğan kommt seinem Ziel näher: Neuwahlen, bei denen seine AKP die absolute Mehrheit zurückgewinnt.

Von Mike Szymanski, Istanbul
Für die Türkei hätte das Jahr 2015 auch einen ganz anderen Weg nehmen können als den der Gewalt. Im Frühjahr traten in Istanbul erstmals Regierungsvertreter und ranghohe Kurdenpolitiker gemeinsam vor die Presse. Sie verabredeten einen Fahrplan für die Aussöhnung. Mit nur ein bisschen mehr gutem Willen auf beiden Seiten hätte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK in diesem Sommer einen Kongress abgehalten und womöglich beschlossen, die Waffen niederzulegen. Die Kurden hätten womöglich bald über ihre parlamentarische Vertretung, die HDP, an einer Verfassung mitgeschrieben, die sie als gleichwertige Bürger des Landes akzeptiert. Eine Zukunft ohne Blutvergießen - sie war mehr als nur eine Träumerei; sie war zu greifen.

Jetzt gilt leider wieder: Vergeltung statt Vergebung. Übers Wochenende flog das türkische Militär Einsätze gegen kurdische Stellungen. Am Samstag hat die PKK den seit 2013 geltenden Waffenstillstand für beendet erklärt. Das Töten geht weiter, der bewaffnete Kampf ist zurück in der Türkei. Wieder sterben Menschen in einem Konflikt, der schon 40 000 Menschen das Leben gekostet hat. Es bleibt die Frage: Ist dieses Land denn zu Frieden wirklich nicht fähig?

Das Verhalten von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan lässt erhebliche Zweifel aufkommen. Dass er ausgerechnet jetzt wieder den Kampf gegen die Kurden führt, und vor allem in dieser Härte, hat innenpolitische Gründe. Die Kurden sind zu einer Bedrohung für ihn geworden. Bei der Parlamentswahl Anfang Juni kam die HDP auf 13 Prozent der Stimmen. Dies hat die politische Landschaft verändert. Erdoğans islamisch-konservative AKP hat die absolute Mehrheit verloren. Die Kurden haben in Ankara eine starke Stimme bekommen.

Erdoğan will Neuwahlen. Diesem Ziel ist er jetzt nähergekommen
Das Ergebnis der Wahl hat die Türkei aber auch in eine tiefe Krise gestürzt. Erdoğan hat es nicht eilig, die Macht zu teilen. Die Regierungsbildung hat er so lange wie möglich hinausgezögert. In der Opposition will keine Partei mit der AKP zusammengehen - so stark ist dort der Hass auf die Regierungspartei ausgeprägt. Die HDP hat von Anfang an Verhandlungen ausgeschlossen, die Ultra-Nationalisten von der MHP sehr früh. Die säkulare CHP als größte Oppositionspartei führt zwar noch Gespräche mit der AKP, glaubt aber auch nicht mehr an eine Einigung.

Damit ist Erdoğan seinem eigentlichen Ziel doch wieder ein Stück nähergekommen. Er will Neuwahlen. Es sieht danach aus, dass er sie bekommt. Im Moment bereitet er das Klima dafür.

Der aufflammende Konflikt mit den Kurden spielt Erdoğan in die Hände und schadet der HDP. Sie wollte das neue Gesicht der Kurden sein. Modern, an der Basis verwurzelt, wählbar für eine breite Schicht auch jenseits der Kurdenhochburgen. Die HDP unter ihrem smarten Anführer Selahattin Demirtaş wollte eine Türkei-Partei sein. Dass sie bei der Wahl Anfang Juni so erfolgreich war, hatte auch damit zu tun, dass die Leute ihr trotz Nähe zur PKK das Versprechen von einer friedlichen Lösung im Kurdenkonflikt glaubten und in ihr tatsächlich eine Alternative zur verbotenen PKK erkannten. Trotz vieler Provokationen im Wahlkampf bis hin zu Anschlägen auf Büros und Kundgebungen verzichtete die PKK in dieser Zeit auf Gewalt.

Dieses neue Image hat jetzt tiefe Risse bekommen. Nachdem ein mutmaßlicher IS-Selbstmordattentäter am Montag in der kurdisch geprägten Stadt Suruç 31 Menschen mit sich in den Tod riss, richtete die PKK zwei türkische Polizisten hin, die sie für Komplizen hielt. Eine menschenverachtende und törichte Tat. Sie lieferte Erdoğan die Argumente, gegen die Kurden vorzugehen. Unter dem Vorwand des Anti-Terror-Kampfes versucht die AKP jetzt auch, die Vertrauensbasis der HDP zu zerstören.