junge Welt, 28.07.2015

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Angriffskrieg
Washingtons und Ankaras Feldzug gegen Syrien

Von Arnold Schölzel

Unter der Devise »Assad stürzen, die Kurden unten halten, den Dschihadisten helfen« führt Ankara seit 2011 einen nichterklärten Angriffskrieg gegen Syrien. Die NATO gab grünes Licht, Geheimdienste der Paktstaaten finanzierten, trainierten und bewaffneten vom türkischen Südosten aus und in Jordanien jede dschihadistische Formation gegen Syrien.

Der die Türkei im Stil eines Putschmilitärs regierende Recep Tayyip Erdogan verkündete angesichts dieses Rückhalts bis ins Jahr 2012 hinein großmäulig den bevorstehenden Sturz des syrischen Präsidenten. Als der ausblieb, schaffte es der Hasardeur von Ankara, der den von ihm selbst mitgeschaffenen Flüchtlingsansturm aus Syrien mit Hilfe westlicher Medien für eine Mitleidskampagne nutzte, die NATO zum offenen Eingreifen zu bringen. Am 4. Dezember 2012 beschloss sie unter Druck Washingtons die Operation »Active Fence« auf der Grundlage des Artikels vier ihres Statuts. Der »Aktive Zaun« brachte u. a. bis zu 400 Bundeswehrsoldaten und zwei Feuereinheiten der »Patriot«-Raketenabwehrsysteme nach Anatolien. Sie können eingesetzt werden, wenn ein »Bündnisfall« nach Artikel fünf des NATO-Vertrages beschlossen wird.

Die Stunde dafür schien im Sommer 2013 gekommen, als syrische Regierungstruppen angeblich massiv Giftgas eingesetzt hatten. Sie hätten demnach bewusst die von Obama definierte »rote Linie« überschritten und einen Militärschlag des Westens provoziert. Das Datum für den Angriff war auf Anfang September 2013 festgelegt, als die Attacke abgesagt und Syrien zur Vernichtung seiner Chemiewaffen gebracht wurde. Sollte, wie es damals hieß, der russische Präsident Wladimir Putin bei diesem Deal eine entscheidende Rolle gespielt haben, hat er vermutlich einen Schlagabtausch, der einen Weltkrieg in sich barg, verhindert.

Mit der Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals entfiel der offizielle Stationierungsgrund für die deutschen »Patriots«. Sie blieben aber, und nun äußert Berlin – »mehr Verantwortung« übernehmend – »Verständnis« für die jüngste Steigerung der türkischen Aggression. Die wurde möglich durch eine Vereinbarung zwischen Ankara und Washington. Erdogan holte sich bei Obama die Erlaubnis für die Einrichtung einer türkisch kontrollierten Zone auf syrischem Territorium. Einziger Zweck: die Dschihadisten gegen Assad noch mehr unterstützen, die Kurden kampfunfähig machen. Damit rückt der NATO-»Bündnisfall« näher. Was 2013 scheiterte, soll 2015 nachgeholt werden. Berlin, hieße das, lässt sich erneut in einen von den USA angeschobenen Angriffskrieg hineinziehen, den – wie im Kosovo seit 1999, wie in der Ukraine – allein die Verbündeten bezahlen. Erst in dieser Situation spricht die deutsche Linke klar von Angriffskrieg, bislang herrschte zumeist Äquidistanz vor. Das hat den Antikriegsprotest in der Bundesrepublik geschwächt und fast zum Verstummen gebracht, hoffentlich nicht zum Verschwinden.