Frankfurter Rundschau, 27.07.2015

http://www.fr-online.de/tuerkei/pkk-und--is--tuerkische-armee-greift-kurdisches-dorf-an,23356680,31313760.html

PKK UND "IS"
Türkische Armee greift kurdisches Dorf an
Von ANDREAS SCHWARZKOPF

Die Gewalt ist Istanbul ist zwischen der türkischen Polizei und kurdischen Milizen eskaliert. Foto: AFP
Nach dem türkischen Militärschlag gegen die verbotene Arbeiterpartei PKK wächst die Angst vor einer weiteren Eskalation. Jetzt hat nach Angeben von Aktivisten die türkische Armee ein kurdisches Dorf in Syrien angegriffen.

Deutsche Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Grünen-Chef Cem Özedmir haben die Offensive der türkischen Armee gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK kritisiert und Ankara aufgefordert, den friedlichen Prozess mit den Kurden nicht zu gefährden. Die USA hingegen halten den türkischen Militärschlag für legitim. Dennoch überwiegt die Sorge, dass die Situation in der Krisenregion weiter eskaliert.

Die Sorge scheint sich zu bestätigen. Wie jetzt bekannt wurde, hat die türkische Armee nach Angaben von Aktivisten ein von kurdischen Kämpfern kontrolliertes Dorf in Syrien angegriffen. Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte, wurde nach mehreren Luftangriffen auf Stellungen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in der Nacht zum Montag auch das von Kurden kontrollierte Dorf Sor Maghar in der nordsyrischen Provinz Aleppo von türkischen Panzern beschossen. Zuvor hatte die türkische Armee laut Medienberichten auch wieder Angriffe auf Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Nordirak geflogen.

Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hatte am Wochenende den bisher recht stabilen Waffenstillstand mit der Türkei für bedeutungslos erklärte, nachdem Ankara seit Freitag nicht nur viele IS-Aktivisten, sondern auch PKK-Sympathisanten verhaften ließ. Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik erklären diesen Schritt der PKK auch mit dem geringen Fortschritt der türkisch-kurdischen Gespräche in den vergangenen zwei Jahren.

Zusätzlich frustriert die türkischen Kurden, dass sie seit einigen Monaten gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Irak und in Syrien kämpfen, ohne politisch Kapital daraus schlagen zu können.

Neue Gewalt befürchtet

Befürchtet werden nun weitere Übergriffe wie am Wochenende. Sie erinnern an den jahrzehntelangen blutigen Kampf der PKK für einen eigenen Kurdenstaat oder eine politische Autonomie im Südosten der Türkei. In diesem Konflikt wurden mehr als 40 000 Menschen getötet. Zahlreiche Mitglieder und Anhänger der PKK wurden inhaftiert, ihr Anführer Abdullah Öcalan sitzt seit 1999 in einem türkischen Gefängnis. Die PKK und Nachfolgeorganisationen gelten in der EU und den USA als terroristische Vereinigungen. In Deutschland ist die Partei seit 1993 verboten.

Zusätzlich dürften die türkischen Angriffe auf PKK-Stellungen im Norden Iraks das Verhältnis zu den Kurden dort belasten. Der Präsident der Autonomen Region Kurdistan (im Nordirak), Mustafa Barzani, forderte bereits, die türkischen Angriffe einzustellen. Die Kurden im Norden Iraks sind ein Bollwerk gegen den IS. Deren militärischer Arm, Peschmerga, kämpft seit Monaten gegen die Dschihadisten und wird dabei durch Luftschläge der US-geführten Allianz unterstützt.

PKK-Anhänger im Libanon protestieren gegen Ankara. Foto: dpa
Auch ökonomisch wird die Autonome Region immer stärker. Die Kurden profitierten erst vom internationalen Flugverbot von 1991 für irakische Jets, dann vom Fall des Hussein-Regimes im Jahr 2003 durch die US-geführte „Allianz der Willigen“. Seither kehren immer mehr Flüchtlinge in den Norden Iraks zurück und sind so mitverantwortlich für einen vergleichsweise enormen wirtschaftlichen Aufschwung in dieser nahezu friedlichen Region. Die Türkei hat diese Entwicklung für einen regen Handel genutzt, auch um den Südosten des Landes zu stabilisieren.

Ankara ließ IS gewähren

Barzani und seine Mitstreiter nutzten diesen Erfolg allerdings nicht, um einen eigenen Staat auszurufen. Zum einen regieren sie bereits drei Provinzen eines Landes, das im Süden von einer schiitisch dominierten Regierung in Bagdad und im Westen vom IS beherrscht wird. Zum anderen wollten sie weder Ankara noch die EU und die USA verärgern, zu denen sie bereits jeweils politische Beziehungen pflegen, und zwar nicht erst seit dem Kampf gegen die Dschihadisten.

Der Erfolg der Kurden im Nordirak wird ergänzt durch eine wachsende Autonomie der Kurden im Norden Syriens, wo sich kurdische Kräfte seit Ausbruch des Bürgerkriegs gegen das Assad-Regime und gegen den IS Freiräume erkämpft haben.

Diese Entwicklung weckt in Ankara die Angst, dass ein Kurdenstaat entsteht. Deshalb und aus Furcht vor Anschlägen ließ die türkische Regierung die Terrormiliz IS bis Freitag mehr oder weniger gewähren. Die US-geführte Allianz hofft, dass die Türkei dauerhaft die Versorgung des IS via Türkei behindert. Zusätzlich beschäftigen sich alle Akteure bereits mit Szenarien, in denen sowohl Syrien wie auch der Irak nicht nur de facto, sondern auch de jure in Teile zerfällt. (mit dpa, rtr)