Die Welt, 28.07.2015

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Reservistenverband sieht deutsche Soldaten in Gefahr
Roderich Kiesewetter schlägt Alarm: Das Vorgehen der Türkei gegen kurdische Aktivisten könnte PKK-Kämpfer auch zu Angriffen auf deutsche Nato-Einheiten treiben. Diese seien kaum geschützt.

Der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter warnt vor einem Übergreifen des Kurdenkonflikts von der Türkei auf Deutschland. Es gebe die Gefahr, dass die Auseinandersetzungen auch wieder verstärkt hierzulande ausgetragen werden, sagte Kiesewetter der "Nordwest-Zeitung". "Unsere Sicherheitsbehörden sind alarmiert." Die Türkei ging zuletzt auch nach internationaler Kritik massiv gegen kurdische Aktivisten vor.

Der CDU-Politiker und Präsident des Reservistenverbandes der Bundeswehr sieht auch deutsche Soldaten in Gefahr. "In der Türkei gibt es eine sehr schwache Sicherung der Bundeswehr-Einsatzkräfte", sagte Kiesewetter. "Hier muss geprüft werden, ob nicht mehr für die Eigensicherung getan werden muss." Es sei nicht auszuschließen, dass Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei PKK auch Nato-Einheiten in der Türkei bekämpfen.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) machte in einem Telefonat mit ihrem türkischen Kollegen Ismet Yilmaz deutlich, dass "die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten ein sehr hohes wichtiges Ziel ist und absolute Priorität haben muss". Sie habe darauf hingewiesen, dass es sich um einen Einsatz handle, "den wir sehr sorgfältig angesichts der Aktualität beobachten", sagte von der Leyen am Rande eines Besuchs im westafrikanischen Mali.

Die Bundeswehr hat Patriot-Luftabwehrraketen etwa 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt in der Türkei stationiert. Zudem hilft sie bei der Ausbildung kurdischer Peschmerga-Kämpfer im Nordirak. Diese werden so im Kampf gegen die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) unterstützt.

Derzeit sind dort etwa 260 Soldaten eingesetzt. Der Einsatz wurde vom Bundestag erstmals im Dezember 2012 mandatiert. Das aktuelle Mandat endet im Januar 2016. Darauf habe sie in ihrem Telefonat mit Yilmaz auch "hingewiesen", sagte von der Leyen in Mali.

Seit vergangener Woche fliegt die türkische Armee Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien, sie bombardiert aber auch kurdische PKK-Lager im Nordirak. Aus Sicht der türkischen Regierung sind beide Gruppen gleichermaßen Terrororganisationen. Während die Luftangriffe gegen die IS-Miliz im Westen einhellig begrüßt wurde, stieß die Offensive gegen die PKK auch auf Kritik.

Politiker mehrerer Fraktionen forderten eine Neubewertung der deutschen Mission. "Wir sollten überlegen, ob wir den Patriot-Einsatz aufrechterhalten", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der CSU, Florian Hahn, der "Welt". Er halte die Mission ohnehin "für weitgehend sinnfrei, weil der IS über keinerlei Waffen verfügt, die von den Patriot bekämpft werden müssten". Außerdem habe die Regierung in Ankara den IS bislang "zumindest indirekt unterstützt", so Hahn.

Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen, wies darauf hin, dass der "Verbleib der Patriot in der Türkei kein Automatismus" sei. "Die klare Bedingung für den Einsatz ist die Verteidigung der Türkei", sagte Nouripour der "Welt". Wenn diese "jetzt aber in einen Bürgerkriegszustand abgleitet oder Kriegspartei in Syrien oder dem Irak würde, dann müssten wir schleunigst reagieren".

Am deutlichsten äußerte sich die Linke, die von Beginn gegen den Türkei-Einsatz war: Parteivize Tobias Pflüger forderte den sofortigen Abzug der Patriot-Raketen. Anderenfalls mache "sich die Bundesregierung mitschuldig an der türkischen Eskalationsstrategie und zieht Deutschland – via Nato – in diesen Krieg"

Am Dienstag berieten die Nato-Botschafter auf Antrag der Türkei in Brüssel über die Lage. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sicherte der Türkei angesichts der Bedrohung durch den IS die "starke Solidarität" des Bündnisses zu.

Stoltenberg verwies auf jüngste Anschläge und Angriffe, die von der Türkei dem IS zugeschrieben werden. "Terrorismus in jeglicher Form kann nicht toleriert oder gerechtfertigt werden", sagte der Nato-Generalsekretär. Er sprach den Familien der Opfer sein Beileid aus. Die Instabilität "an der Türschwelle zur Türkei und an der Nato-Grenze" müsse angegangen werden, sagte der Nato-Generalsekretär. Die Nato verfolge die Lage sehr aufmerksam.

Am Vorgehen der Türkei gibt es aber aus den Reihen der Bündnispartner auch Kritik. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, die Bombardierung kurdischer Stellungen durch die Türkei sei nicht verhältnismäßig. Die Türkei versuche mit den Angriffen auf IS-Stellungen in Syrien und mutmaßliche PKK-Lager im Nordirak, "zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen".