Tiroler Tageszeitung, 28.07.2015

https://www.tt.com/politik/konflikte/10320510-91/wird-die-kurdenpartei-hdp-zum-opfer-des-konflikts.csp

ANKARA GEGEN PKK
Wird die Kurdenpartei HDP zum Opfer des Konflikts?


Die türkische Kurdenpartei steht nur wenige Wochen nach ihrem historischen Wahlerfolg mächtig unter Druck. „Unser einziges Verbrechen war, dass wir 13 Prozent geholt haben“, sagt HDP-Chef Demirtas.

Ankara – Vor nicht einmal zwei Monaten konnte die türkische Kurdenpartei HDP einen historischen Erfolg feiern. Nach einem Wahlkampf, in dem sie sich als liberale Reformkraft empfahl, erhielt die HDP bei der Wahl vom 7. Juni rund 13 Prozent der Stimmen und 80 Parlamentssitze in Ankara.

Unter ihrem telegenen Vorsitzenden Selahattin Demirtas schickte sich die HDP an, die politischen Realitäten der Türkei zu verändern. Doch nun steht die HDP unter hohem Druck - und sieht sich der Gefahr gegenüber, zum Opfer der neuen Auseinandersetzung zwischen der Türkei und den PKK-Kurdenrebellen zu werden.

Die Partei der Demokratie der Völker (HDP) ist die jüngste Inkarnation einer langen Reihe von Kurdenparteien in der Türkei. Die meisten ihrer Vorgänger wurden wegen der Nähe zu der in Ankara und im Westen als Terrorgruppe eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verboten. Auch jetzt fordern einige türkische Politiker juristische Schritte gegen die Kurdenpartei.

In Ankara weht nun ein anderer Wind
Aus ihren engen Verbindungen zur PKK hat die HDP nie einen Hehl gemacht. HDP-Delegationen haben mehrmals den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan sowie andere Mitglieder der PKK-Führung im Nordirak besucht. Lange Zeit regte sich niemand darüber auf, denn schließlich verhandelte auch der türkische Staat mit der PKK über ein Ende des seit mehr als 30 Jahren andauernden Konflikts.

Doch plötzlich weht in Ankara ein anderer Wind. HDP-Chef Demirtas wirft der Regierung vor, sie wolle ihn und seine Partei als „Vaterlandsverräter“ hinstellen, weil sie sich davon einen politischen Vorteil verspreche. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP, sagt Demirtas, wolle vorzeitige Neuwahlen im November erzwingen und dabei die HDP unter die für den Parlamentseinzug nötige Grenze von zehn Prozent der Stimmen drücken. Dies würde den Sitzanteil der AKP erheblich vergrößern und könnte ihr die im Juni verlorene absolute Mehrheit im Parlament zurückbringen.

"Eines der Ziele der derzeitigen Operationen in der Luft, am Boden und in den Medien ist es, bei Neuwahlen die HDP zu schlagen"
HDP-Chef Demirtas

Deshalb solle die Kurdenpartei bei den Wählern als Terrorhelferin verleumdet werden, sagte der HDP-Chef. „Eines der Ziele der derzeitigen Operationen in der Luft, am Boden und in den Medien ist es, bei Neuwahlen die HDP zu schlagen“, sagte er. „Unser einziges Verbrechen ist, 13 Prozent der Stimmen erhalten zu haben.“

Tatsächlich vergeht kein Tag, ohne dass Regierungsmitglieder und regierungsnahe Medien die HDP ins Visier nehmen. Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte am Dienstag die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Kurdenpolitikern, die Verbindungen zu Terrorgruppen unterhielten – eine klare Anspielung auf die HDP-Führung.

Mediale Stimmungsmache gegen HDP
Regierungsfreundliche Zeitungen berichteten ausführlich über angeblich gewinnträchtige Immobiliengeschäfte von Demirtas und anderen HDP-Politikern. In einigen Berichten wurde HDP-Vertretern sogar eine Beteiligung an dem Anschlag von Suruc zugewiesen, bei dem vergangene Woche 32 Menschen getötet wurden und der laut Regierung von der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) verübt wurde.

Wie viele Beobachter vermutet der regierungskritische Journalist Metin Münir, dass der Druck auf die HDP nicht zufällig gerade jetzt zunimmt. „Ein wichtiger Teil des Planes ist es, die HDP als Partnerin der Terrors zu präsentieren und an den Rand zu drängen, um auf diese Weise einen Teil der Wähler, die für die HDP gestimmt haben, der AKP zuzutreiben“, schrieb Münir in einem Beitrag für das Nachrichtenportal T24. Deshalb sollten neue Gewaltaktionen der PKK provoziert werden.

Wenn Münirs Analyse zutrifft, hat die PKK der Regierung in den vergangenen Tagen einen großen Gefallen getan. Die Kurdenrebellen töteten mehrere Polizisten und Soldaten und errichteten Straßensperren. Die Anschläge tragen entscheidend dazu bei, dass viele Türken eine Rückkehr zu den dunkelsten Tagen des Kurdenkampfes in den 90er Jahren befürchten.

Da die HDP bei der Juni-Wahl gerade von ihrem Image einer gemäßigten und friedfertigen Partei profitierte, könnten die PKK-Anschläge der legalen Kurdenpartei von Demirtas schaden: Die HDP gerät damit von zwei Seiten unter Druck. (APA/AFP)