junge Welt, 29.07.2015 http://www.jungewelt.de/2015/07-29/040.php Brandstifter Erdogan Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat den Friedensprozess mit den Kurden jetzt auch offiziell für beendet erklärt. Er bekommt dafür ganz offiziell Rückendeckung aus dem Westen. Um 11.20 Uhr am Dienstag verbreitete in der BRD die Nachrichtenagentur dpa die Kriegserklärung Ankaras gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Eilmeldung. »Es ist nicht möglich, einen Lösungsprozess fortzuführen mit denjenigen, die die Einheit und Integrität der Türkei untergraben«, wird der starke Mann vom Bosporus zitiert. Keine halbe Stunde später, um 11.42 Uhr, vermeldete AFP Beifall aus Brüssel: Die NATO sichert ihrem Mitglied Türkei »starke Solidarität« zu. Das Sondertreffen des westlichen Militärpakts war von der türkischen Führung unter Berufung auf Artikel 4 des NATO-Vertrags beantragt worden. Dieser sieht Beratungen vor, wenn ein Mitglied meint, dass die Unversehrtheit des eigenen Territoriums, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht seien. In der Türkei hatte zuletzt ein Anschlag in der Stadt Suruc an der Grenze zu Syrien mit mehr als 30 Toten für Entsetzen gesorgt. Für den Terrorakt gegen das Treffen einer sozialistischen Jugendgruppierung wird die Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) verantwortlich gemacht, die wiederum von der AKP-Regierung in Ankara in der Vergangenheit massiv unterstützt wurde. In den vergangenen Tagen attackierten Kampfjets der türkischen Luftwaffe IS-Stellungen in Syrien, vor allem aber nahmen sie PKK-Stützpunkte im Nordirak und von den kurdischen Volksmilizen PYD im Norden Syriens unter Beschuss. Offensichtliches Ziel im nun offenen Krieg Ankaras ist die Zerschlagung kurdischer Selbstverwaltungsstrukturen und die Aufteilung Syriens. So will die Türkei ganze Landstriche jenseits der Grenze als »Pufferzone« okkupieren. Dort sollen »moderate Rebellen« trainiert werden, um nach vier Jahren Krieg gegen Syrien und mehr als 200.000 Toten vielleicht doch noch den Sturz von Präsident Baschar Al-Assad hinzubekommen. Von ihren Partnern habe die Türkei vorerst keine militärische Unterstützung gefordert, erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag nach dem Sondertreffen in Brüssel. Der Norweger streichelte das türkische Ego, als er darauf verwies, dass die Türkei über »sehr fähige Streitkräfte« verfüge, und daran erinnerte: »Das ist die zweitgrößte Armee in der Allianz.« Die größte, die der USA, steht stramm an der Seite Ankaras. Präsident Barack Obama hatte seinem türkischen Amtskollegen Erdogan bereits vor dem NATO-Treffen grünes Licht für den Feldzug gegeben. Hinter verschlossenen Türen soll es von europäischen Alliierten indirekte Kritik am »Antiterrorkampf« der Türkei gegeben haben, kolportierte Reuters unter Verweis auf »Teilnehmerkreise«. Eine Reihe von NATO-Staaten soll demnach die Regierung in Ankara »mehr oder weniger deutlich« aufgefordert haben, »im Umgang mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK die militärischen Mittel angemessen einzusetzen, um die Tür für eine Fortsetzung des Friedensprozesses offenzuhalten«. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, die am Dienstag gerade von einem Türkeibesuch zurückgekehrt war, kritisierte gegenüber jW die »falsche Solidarität« scharf. »Die Einrichtung der US-amerikanisch-türkischen Kontrollzone ist nicht nur Teil von Erdogans Krieg gegen Kurden und Linke, sondern hier soll eine sichere Basis für islamistische Mörderbanden wie die Ahrar Al-Sham geschaffen werden. Es ist bezeichnend, dass sich die Bundesregierung über diese verbrecherischen Pläne ausschweigt und sich im NATO-Rat offenbar mit Erdogan solidarisiert.« Tatsächlich erinnerte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihren türkischen Amtskollegen mit Blick auf die in der Region Kahramanmaras stationierten Bundeswehreinheiten lediglich daran, dass »die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten ein sehr hohes wichtiges Ziel ist und absolute Priorität haben muss«.
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