Die Zeit , 29.07.2015

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Türkei fliegt weitere Angriffe auf kurdische Stellungen im Irak
Sechs PKK-Militärlager wurden laut türkischer Regierung getroffen. Der Irak spricht von einer gefährlichen Eskalation, die Bundesregierung warnt vor möglichen Anschlägen.

Aktualisiert 29. Juli 2015 15:13 Uhr

Die türkische Luftwaffe hat neue Angriffe auf Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK geflogen. Nach Angaben der Regierung bombardierten Kampfjets sechs Militärlager der PKK im Nordirak. Auch im Südosten der Türkei erfolgten neue Luftschläge.

Zuvor hatten die türkischen Behörden einen Raketenangriff der PKK auf ein Wohnhaus von Regierungsbeamten nahe der irakischen Grenze gemeldet. Verletzt wurde dabei niemand.

Die irakische Regierung hatte die Angriffe im Nordirak als gefährliche Eskalation und Verletzung der Souveränität des Landes bezeichnet. In einer auf der Internetseite von Ministerpräsident Haider al-Abadi veröffentlichten Erklärung wird die Türkei aufgefordert, die Lage nicht weiter anzuheizen und eine Lösung für die Krise zu suchen. Der Irak stehe weiter zu seiner Verpflichtung, keine Angriffe von seinem Staatsgebiet aus gegen das Nachbarland zuzulassen. Die US-Regierung stufte das Vorgehen der türkischen Regierung dagegen als "eindeutigen Akt der Selbstverteidigung" ein.

Reisehinweise und Sicherheitsvorkehrungen verschärft

Angesichts der Situation hat das Auswärtige Amt seine Reise- und Sicherheitshinweise für die Türkei verschärft. Es werde dringend empfohlen, "sich nicht in der Nähe der Grenzen zu Syrien und Irak aufzuhalten und insbesondere Grenzanlagen zu meiden". Darüber hinaus gebe es Hinweise auf mögliche Anschläge auf die U-Bahn und Bushaltestellen in Istanbul.

Verschärft wurden auch die Sicherheitsvorkehrungen der in der Südtürkei stationierten Bundeswehrsoldaten. "Wir haben allgemein unsere Absicherungsmaßnahmen erhöht", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Zu den Maßnahmen gehörten Ausgangssperren und eine verstärkte Sicherung der Kaserne durch türkische Kräfte. Anzeichen für eine veränderte Sicherheitslage gebe es derzeit allerdings nicht. Die Soldaten sind wegen des Bürgerkriegs in Syrien im Rahmen der Nato-Mission Active Fence zur Luftraumverteidigung mit Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien stationiert worden.

Die Linkspartei forderte eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. "Wir wollen Aufklärung darüber, wie die Bundesregierung dieses Agieren eines Nato-Mitgliedslandes und EU-Beitrittskandidaten bewertet und welche Konsequenzen dies haben wird", sagte der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich. Angesichts des fortgesetzten Militäreinsatzes und der Aufkündigung des Friedensprozesses durch Präsident Recep Tayyip Erdoğan müsse die Bundesregierung ihre "stillschweigende Kumpanei" mit dem Staatschef der Türkei beenden.

Türkische Opposition fordert neue Verhandlungen

Die Opposition in der Türkei verlangte unterdessen, die Friedensverhandlungen mit den Kurden wieder aufzunehmen. "Wir müssen sofort die Bedingungen herstellen, um sofort zum Umfeld eines Waffenstillstands und zum Prozess des Dialogs zurückzukehren", sagte Selahattin Demirtaş von der prokurdischen HDP.

Die Friedensverhandlungen waren unmittelbar vor dem Nato-Gipfel am Dienstag von Erdoğan gestoppt worden. "Es ist nicht möglich, einen Lösungsprozess fortzuführen mit denjenigen, die die Einheit und Integrität der Türkei untergraben", hatte Erdoğan gesagt.

Video: Militäreinsatz - Türkei setzt Angriffe auf kurdische PKK fort
Die türkischen Streitkräfte haben am Dienstagabend erneut Kämpfer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Südosten des Landes angegriffen. Video kommentieren
In einer gemeinsamen Erklärung hatten die Nato-Partner erklärt, dass sich die Türkei auf die Solidarität der Alliierten verlassen könne. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte dem Land eine "starke Unterstützung" zu. Diplomaten zufolge gab es bei dem Nato-Treffen keine offene Kritik an der Türkei. Einige Länder hätten aber ein "verhältnismäßiges" Vorgehen verlangt und auf die Notwendigkeit verwiesen, den Friedensprozess mit der PKK am Leben zu erhalten.

Die Türkei geht seit einigen Tagen mit Luftangriffen gegen mutmaßliche Stellungen der PKK im Norden des Iraks vor. Diese brach ihrerseits die 2013 ausgerufene Waffenruhe.

Auslöser ist der Terroranschlag des "Islamischen Staates" (IS) in der türkischen Grenzstadt Suruç, bei dem am 20. Juli mehr als 30 Jugendliche, darunter viele Kurden, getötet wurden. Die Kurden warfen den türkischen Behörden daraufhin vor, zu wenig gegen den IS-Terror unternommen zu haben. Als Vergeltung tötete die PKK nach eigenen Angaben vergangene Woche zwei türkische Polizisten an der syrischen Grenze.

Die Türkei hat vor diesem Hintergrund einen doppelten "Krieg gegen den Terrorismus" ausgerufen, der sich sowohl gegen den IS als auch gegen die PKK richtet. Sie stuft beide Gruppierungen als Terrororganisationen ein.