Süddeutsche Zeitung, 30.07.2015 http://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-die-tuerkische-urangst-1.2587289 Erdoğans Anti-Terror-Kampf Die syrischen Kurden machen im Bürgerkrieg Geländegewinne gegen den IS; im Nordirak regieren sie sich de facto schon selbst. Der Blick auf die Landkarte erklärt die Motive politischen Handelns oft besser als das, was Staatsmänner so von sich geben. Dass der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan den Friedensprozess mit den Kurden ausgerechnet jetzt für tot erklärt und seine Armee gegen die Separatistenarmee der PKK vorgehen lässt, hat viel mit der innenpolitischen Lage in der Türkei zu tun und nicht ganz so viel mit dem griffigen Slogan vom Terrorismus, den der Mann in Ankara nun zeitgleich auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und mit etwas weniger gutem Grund auf die PKK münzt. Neben der Innenpolitik, in der Erdoğan und seine AKP bei den Wahlen an Gewicht verloren haben, zählen aber auch strategische Konstanten. Das Kurdenproblem in den Nachbarstaaten Irak, Syrien und Iran ist eine solche. Was in den Kurdengebieten der Nachbarstaaten geschieht, kann das Autonomiestreben oder den Sezessionswillen der eigenen Kurdenminderheit in Ostanatolien anfachen. Derzeit machen die syrischen Kurden im Bürgerkrieg Geländegewinne gegen den IS; die Aussicht auf ein weiteres autonomes Kurdenterritorium neben dem sich de-facto schon selbstregierenden irakischen Kurdengebiet im Süden muss für Erdoğan fast unerträglich sein. Der Sieg über die Terrormiliz würde die Siedlungsgebiete der Kurden vereinen Bevor die syrischen Kurden dieses sich abzeichnende Vakuum nutzen können, will Erdoğan mit einer Sicherheitszone vorsorgen. Als Anti-Terror-Instrument deklariert, soll sie sich wie ein Keil zwischen die Kurdengebiete in Syrien schieben - Adieu Rojawa. Geht es nach Ankara, sollen arabisch-stämmige Syrer angesiedelt werden, die in türkischen Flüchtlingslagern hausen. So würde kurdische Dominanz verhindert. Für Sicherheit sollen Turkmenen-Milizen sorgen, das zentralasiatische Turk-Volk siedelt auch in der Türkei, in Syrien und im Irak. Die Turkmenen könnten zum Handlanger von Erdoğans Anti-Kurdistan-Politik werden.
|