welt.de, 04.08.2015

http://www.welt.de/politik/deutschland/article144790425/Deutsch-Tuerken-kritisieren-Krieg-gegen-die-PKK.html

Konflikt mit Kurden

Deutsch-Türken kritisieren Krieg gegen die PKK

Hinter Erdogans Kampf gegen die PKK vermuten deutsch-türkische Intellektuelle vor allem ein innenpolitisches Kalkül. Grünen-Chef Özdemir warnt mit Blick auf den IS vor einem Zwei-Fronten-Krieg.

Von Hüseyin Topel

Die Türkei und die PKK befinden sich wieder in einem blutigen Konflikt – und beide Seiten kämpfen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Wie reagieren Deutsch-Türken auf diese Situation?

Der Leiter des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen, Haci Halil Uslucan, verweist grundlegend auf eine starke Polarisierung in der türkischstämmigen Bevölkerung. Die zeige sich an ihrer Haltung zu Präsident Recep Tayyip Erdogan (Link: http://www.welt.de/themen/recep-tayyip-erdogan) : "Es gibt hierzulande zwei deutliche Blöcke. Diese teilen sich auf in starke Erdogan-Befürworter und die kleinere Gruppe der Erdogan-Gegner." Daran änderten die aktuellen Ereignisse wenig.

Die letzten türkischen Wahlergebnisse aus Deutschland haben gezeigt: Deutlich mehr als 50 Prozent der Türken hierzulande wählen Erdogans AKP. Uslucan ist verwundert, dass Türken, die im Ausland selbst eine Minderheit sind, die Lage von Minderheiten in ihrer Heimat – wie die Kurden – nicht besser verstehen. "Sie sollten sich eigentlich stärker über die gegenwärtige türkische Politik empören."

Anlass des jüngsten Konflikts zwischen Türkei und PKK: Bei einem Terroranschlag in der türkischen Stadt Suruç (Link: http://www.welt.de/144224534) waren mehr als 30 Menschen ums Leben gekommen, vornehmlich Kurden. Die Türkei beschuldigte den IS, dahinter zu stecken. Die kurdische Arbeiterpartei PKK (Link: http://www.welt.de/themen/pkk/) ermordete jedoch aus Vergeltung türkische Polizisten und Soldaten (Link: http://www.welt.de/144722497) , weil sie die Regierung in Ankara als Drahtzieher verdächtigt. Erdogan wiederum ließ als Oberbefehlshaber der Armee Stützpunkte sowohl des IS als auch der PKK bombardieren (Link: http://www.welt.de/144433477) .

Deutsch-türkische Intellektuelle zeigen sich nun zumindest über eines froh: dass die Türkei inzwischen die IS-Terroristen militärisch bekämpft. So denkt etwa Baha Güngör; er war bis zu seiner Pensionierung im vergangenen Monat Leiter des türkischen Dienstes des Rundfunksenders Deutsche Welle. "Der türkische Angriff auf den IS war längst überfällig", findet Güngör. Erdogan hatte gesagt, die türkische Regierung habe die Terrormiliz von Anfang an richtig eingeschätzt und juristische Maßnahmen ergriffen.

An solche Maßnahmen kann sich Güngör nicht erinnern. Im Gegenteil: Er erinnert sich an Aussagen aus Reihen der AKP, der IS sei keine konkrete Gefahr. "Erst der verheerende Selbstmordanschlag in Suruç rüttelte die türkischen Verantwortlichen wach."

Türkei-Forscher Uslucan bewertet hingegen die lange Zeit zurückhaltende Rolle des Landes als durchaus klug: "Man darf nicht vergessen, dass eine leichtfertige Involvierung in den Syrienkrieg hohe menschliche, militärische, wirtschaftliche und politische Folgekosten hat." Uslucan verweist dabei auf rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien, die das Land aufgenommen hat. "Die Türkei muss auch an die Zeit nach dem Krieg in der Region denken."

Özdemir warnt vor "Machthaber" Erdogan

Baha Güngör glaubt, dass Erdogan mit seiner derzeitigen Strategie wohl nur kurzfristige Ziele verfolge: Der Kampf gegen die PKK sei nur Mittel zum Zweck, um Neuwahlen zu provozieren. Bislang konnte in der Türkei nach der Parlamentswahl am 7. Juli keine neue Regierung gebildet werden. Durch das überraschend starke Ergebnis der kurdischen HDP (13 Prozent) hatte die AKP ihre absolute Mehrheit verloren.

Auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir (Link: http://www.welt.de/themen/cem-oezdemir/) ist überzeugt, dass Erdogans erneuter Krieg gegen die PKK nur ein Ziel habe: "Bei den angestrebten Neuwahlen seine Wahlniederlage rückgängig zu machen und die HDP wieder aus dem Parlament zu drängen." Zugleich verurteilt Özdemir die Anschläge gegen Polizisten und Soldaten. Auch, weil die PKK damit jene Sympathien, die sich die gemäßigte kurdische HDP mit ihrem Vorsitzenden Selahattin Demirtas im bürgerlichen Milieu im Westen der Türkei aufgebaut hatte, gefährde.

Demirtas hatte in einem Interview der türkischen Website "Radikal" gesagt, seine Partei distanziere sich von der Gewalt der PKK: "Niemand darf sterben." Trotzdem wurden die Kurden allgemein von Erdogan dafür verantwortlich gemacht.

Auch für Serdar Yüksel (SPD), Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen mit Wurzeln im türkischen Dersim, ist die PKK für die jüngsten Entwicklungen maßgeblich mitverantwortlich. "Die PKK muss die Verantwortlichen der letzten Anschläge sofort an den türkischen Staat ausliefern, um den Friedensprozess nicht weiterhin zu gefährden." Laut Yüksel hat die Türkei eine historische Gelegenheit verpasst, mit den Kurden einen Schulterschluss gegen den IS einzugehen.

Warnung vor türkisch-kurdischen Konflikten in Deutschland

In der Tat wäre eine Koalition zwischen den kurdischen Peschmerga-Kämpfern und der türkischen Armee ein effizienter Weg, gegen die Terroristen vorzugehen. Gleichzeitig würde es den Friedensprozess auf eine neue Basis stellen.

Auch Grünen-Chef Özdemir würde im Kampf gegen den IS eine Koalition zwischen den Kurden und Türken begrüßen. Was man im Krieg gegen die Islamisten nicht brauche, betonte Özdemir mit Blick auf Erdogan, sei "ein Machthaber, der aus machtpolitischem Kalkül das eigene Land an den Rand eines Krieges an zwei Fronten" führe.

Der Grünen-Politiker warnte zudem: Eskaliere der Konflikt in der Türkei, könnte das Spannungen zwischen Türken und Kurden in Deutschland weiter verschärfen. Sozialdemokrat Yüksel sieht das ähnlich: "Erdogan vergiftet durch sein Freund-Feind-Denken die Atmosphäre in Deutschland nachhaltig."