welt.de, 06.08.2015 http://civaka-azad.org/zurueck-zum-schmutzigen-krieg-der-90er-jahre-drei-tote-durch-polizeiterror-des-tuerkischen-staates-in-silopi/ YPG-Kämpfer Kevin starb für Kurdistan Ein 21-Jähriger aus Karlsruhe stirbt bei Gefechten mit der Terrormiliz IS. Seine Mutter ist stolz auf ihn, obwohl er sein Leben für seinen naiven Traum vom Paradies der Gerechtigkeit geopfert hat. Von Alfred Hackensberger Kevin Jochim, der
unter dem Namen Dilsoz Bahar für die Kurdenmiliz YPG kämpfte Die Gräber sind längst ausgehoben. Elf Tage lang warteten die Angehörigen vergeblich darauf, ihre Söhne, Brüder und Neffen beerdigen zu können. Aber nach langem Hin und Her war es dann endlich soweit. Die türkischen Behörden genehmigten doch noch die Überführung der getöteten Kämpfer der syrisch-kurdischen Miliz YPG. In der Nacht zum Mittwoch konnten 12 Leichname den irakisch-türkischen Grenzübergang Habur passieren. Aber es waren nicht alle Kämpfer darunter, deren sterbliche Überreste an der Grenze so lange im Kühllaster hatten liegen müssen. Es fehlte der deutsche Kevin Joachim, der am 6. Juli bei einem Gefecht mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) in Nordsyrien getötet worden war. Der 21-Jährige aus Karlsruhe hatte schon seit drei Jahren bei der Kurdenmiliz gekämpft, die mittlerweile der wichtigste Partner Washingtons im Kampf gegen IS ist. Die Türkei kümmert das allerdings wenig. Sie behandelt die YPG wie eine Terrorgruppe, da sie als Ableger der verbotenen türkischen Arbeiterpartei PKK (Link: http://www.welt.de/themen/pkk/) gilt. Derartige Verzögerungen am Grenzübergang Habur hatte es bisher nicht gegeben. Es ist eine Schikane, die im Zusammenhang mit der neuen, harten Gangart Ankaras gegen die Kurden stehen dürfte. Ende Juli kam es zu Bombardierungen und Beschuss von PKK- und YPG-Stellungen. Zu Hause in Karlsruhe ist Kevins Mutter verstört, als sie am Mittwochmorgen die Nachrichten über den Leichnam ihres Sohns. "Ich war so erleichtert, dass er endlich zurückkommt", sagte Marine-Lucie Kozluk. "Und nun das!" Aber kaum eine Stunde später informiert sie das Auswärtige Amt in Berlin, dass Kevins Körper nun doch ausgeflogen wird. Für die Mutter ist es ein schreckliches Wechselbad der Gefühle. Die anderen 12 YPG-Kämpfer waren türkische Staatsbürger, und Kevin als Deutscher wurde nach Erbil, in die Hauptstadt der autonomen Kurdenregion im Irak (KRG) gebracht. Es fehlt nur noch eine Autopsie in der Türkei, und dann ist der Weg in die deutsche Heimat frei. "Es soll angeblich untersucht werden, ob die angegebene Todesursache der Realität entspricht", erklärt die Mutter gekränkt. Dieser Vorgang stimmt sie traurig. "Dass man so mit Toten umgeht, ist unmenschlich." Kevin ist nun schon der zweite junge Deutsche, der im Kampf für die YPG sein Leben ließ. Die erste Tote war Ivana Hoffmann, eine 19-jährige Kommunistin aus Duisburg. Sie starb als Mitglied der weiblichen kurdischen Verteidigungskräfte YPJ am 7. März in der Nähe von Tell Tamer, ebenfalls bei einem Aufeinandertreffen mit der IS-Terrormiliz. Insgesamt dürften sich rund 20 Deutsche der YPG angeschlossen haben. Sie sind Teil der sogenannten Löwen von Rojava, einem Kontingent von rund 150 Freiwilligen aus dem Ausland. Zum Vergleich: Aufseiten des IS soll es rund 15.000 Ausländer geben. Darunter sind, nach Angaben des Verfassungsschutzes, etwa 720 deutsche Staatsbürger. An seinem Geburtstag verschwindet Kevin spurlos "Natürlich bin ich stolz auf meinen Sohn", sagt die Mutter Kevins. "Keine Frage!" Sie ist sichtlich zufrieden, das der Leichnam ihres Sohnes bald in ihrer Nähe sein wird. Er soll im Stadtteil Grünwinkel, im Südwesten von Karlsruhe, seine letzte Ruhestätte finden. "Der Friedhof ist keine zehn Minuten von unserer Wohnung entfernt", erklärt die Mutter. "Da kann ich ihn jederzeit besuchen." Kevin war am 2. November 2012, seinem Geburtstag, verschwunden, und es gab seitdem kein Lebenszeichen von ihm. Seine Mutter erinnert sich noch schmerzvoll an diesen Tag im November. "Kevin wollte zu einer Demonstration nach Belgien fahren, Samstagnacht spät zurückkommen und mit uns am Sonntagvormittag frühstücken." Aber Kevin kam nicht. Er war spurlos verschwunden. Die Mutter konnte sich keinen Reim daraus machen, denn Kevin hatte seinen Computer, seine Bücher, die Kleidung – einfach alles – zurückgelassen. "Er packte nur einen schwarzen Pullover und eine schwarze Hose ein, nichts weiter", erinnert sich die Mutter. Sie dachte an ein Verbrechen und gab bei der Polizei eine Vermisstenanzeige auf. "Der Junge ist volljährig, da kann man nichts machen", sagten ihr damals die Beamten, die sich in den Folgejahren regelmäßig um sie kümmerten. Und im April dieses Jahres bekam sie von ihnen wieder einen Anruf: Sie solle vorbeikommen und sich ein Video ansehen. "Ich sah sofort, das ist mein Sohn, der da mit einem Gewehr in der Hand draußen im Grünen sitzt", erzählt die Mutter. Sie sei vollkommen vor den Kopf gestoßen gewesen. Wo war er überhaupt und was machte er dort? "Nur eines konnte ich in diesem Video sofort erkennen", betont die Mutter. "Kevin war glücklich. Man sieht, er macht das alles mit Herz." Ein Traum vom Paradies der Freiheit und Gerechtigkeit Im Video erklärt Kevin, wieso er bei der YPG gelandet (Link: https://www.facebook.com/1523164351296677/videos/1613185598961218/) ist. Er sei Marxist-Leninist gewesen und über die Schriften Abdullah Öcalans (Link: http://www.welt.de/themen/abdullah-oecalan/) , dem Führer der PKK, habe er den demokratischen Konföderalismus schätzen gelernt. Das ist ein basisdemokratischer Gesellschaftsentwurf, den man in Rojava, dem Kurdengebiet im Norden Syriens, mit einer autonomen Regierung in die Praxis umzusetzen versucht. In fließendem Kurdisch erzählt Kevin von wahrer Freundschaft innerhalb der YPG und wie toll die Revolution sei, an der sich alle ethnischen und religiösen Gruppen beteiligten. Mit einem steten Lächeln auf den Lippen malt er ein Paradies von Freiheit und Gerechtigkeit, das es so gar nicht geben kann. Aber er scheint fest daran zu glauben. Die Mutter erinnert sich an Kevins Jugend. Er hätte schon ganz klein einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit gehabt. In der Schule war er Klassensprecher, immer bereit, die Rechte der Schwachen zu verteidigen. Als Heranwachsender verschlang er Bücher über Geschichte und Politik. Er engagierte sich in Suppenküchen, wurde politisch aktiv und beteiligte sich an Hungerstreiks. "Er hatte viel Zeit", meint die Mutter im Rückblick. Denn nach dem Realschulabschluss kann sich Kevin lange nicht entscheiden, welche Ausbildung er beginnen soll. Er macht ein Praktikum im Kindergarten, um danach möglicherweise Erzieher zu werden. "Er konnte so gut mit Kindern umgehen", sagt die Mutter. "Aber nach ein paar Monaten hat er diese Ausbildung abgebrochen." Alles begann mit einem kurdischen Mädchen Und dann begann seine große Faszination für das kurdische Volk, dem seit Jahrzehnten das Recht auf kulturelle und politische Eigenständigkeit verweigert wird. Die "kurdische Sache" ist perfekt für Kevin und seine Moral, die für die Unterdrückten dieser Welt Partei ergreift. "Ich glaube, alles hat damit angefangen, als er ein Mädchen kennenlernte, das Kurdin war", stellt die Mutter heute fest. "Er wollte sie immer wieder zum Essen mitbringen, aber irgendwie hat es nie geklappt." Die Liebe mag ihren Anteil gehabt haben, Kevin nach Rojava zubringen. Aber mit Sicherheit war es auch die Sehnsucht nach einem besseren Leben, die für Kevin, aber auch für andere viele junge Leute so typisch ist. Es gibt auch IS-Kämpfer, die behaupten, sie hätten Deutschland nur verlassen, um eine gerechte, freie Welt aufzubauen. "Kevin war ein Idealist", hieß es nach seinem Tod in einem Statement der YPG. Den Idealismus für die neue, kommende Gesellschaft bezahlte Kevin mit dem Leben. Seine Mutter hatte immer wieder
versucht, Kevin übers Internet zu kontaktieren. Aber er meldete sich nie.
Trotzdem glaubte sie fest, ihr Sohn werde zu ihr und seinen drei kleinen
Geschwistern zurückkommen. "Aber nicht so", meint sie traurig.
Sie wisse zwar, es sterben viele und auch weit jüngere Menschen als Kevin.
"Aber er hätte doch diesen November Geburtstag gehabt", sagt
die Mutter, "es wäre sein 22. gewesen. Natürlich bin ich stolz auf
ihn, aber das ist doch kein Alter?"
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