Deutsche Welle, 13.08.2015

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Türkische Angriffe spalten kurdische Einheit

Der Konflikt zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen PKK verschärft auch den innerkurdischen Streit. Und das könnte den Kampf gegen den IS schwächen. Mohammed Salih berichtet aus dem Nordirak.

Zerstörtes Haus (Foto: DW/M. A. Salih)

Hamina Hassan packt traurig ihre Habseligkeiten zusammmen. Zusammen mit ihrer Familie will sie ihr Dorf Zargali verlassen. Sie hat aufgehört zu zählen, aber sie sagt, es sei keineswegs das erste Mal, dass sie ihre Heimat aufgebe. Erst vor wenigen Tagen sind zehn ihrer Nachbarn bei türkischen Luftangriffen auf das Dorf ums Leben gekommen. "Es gab im Dorf kein Büro der PKK", sagt die 45-jährige Hamina, während sie auf einem Lastwagen Zargali verlässt, "keiner der Getöteten hatte irgendwas mit der PKK zu tun."

Ankara zufolge war das Ziel des Luftangriffe ein Stützpunkt der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, die seit über 30 Jahren für die Rechte der Kurden gegen den türkischen Staat kämpft. Dorfbewohner und die PKK bestreiten, dass dieser Stützpunkt im Dorf existiere. Tatsache ist jedenfalls, dass sich PKK-Außenposten nicht weit vom Dorf entfernt befinden.

Rivalität um kurdische Unterstützung

Die neuen Kämpfe zwischen der Türkei und der PKK sind zu einem für die irakischen Kurden besonders heiklen Zeitpunkt aufgeflammt. Schon früher waren die irakischen Kurden von den Kämpfen betroffen, weil sich das PKK-Hauptquartier tief im zerklüfteten Grenzgebirge des irakischen Kurdengebiets befindet. Die Türkei hat mehr als 20 Bodenoffensiven auf irakisch-kurdisches Territorium durchgeführt, und manchmal haben kurdische Parteien auf Ortsebene gemeinsame Sache mit der Türkei gegen die PKK gemacht.

Doch diesmal findet der Konflikt zwischen Ankara und der PKK vor dem Hintergrund des Kampfes irakischer Kurden gegen den "Islamischen Staat" statt.

Im vergangenen Jahr stellte der IS für die Kurden im Irak und Syrien eine existenzielle Bedrohung dar. Diese Gefahr brachte die Kurden - ausnahmsweise - zusammen und führte sie in einen gemeinsamen Kampf gegen die Dschihadisten. Doch die Einigkeit währte nicht lange. Jede kurdische Gruppe versucht seitdem, die Oberhand zu gewinnen, oft auf Kosten der anderen.

Leere Straße mit Kontrollposten (Foto: DW/M. A. Salih)

Die PKK-Flagge weht weiterhin auf diesem verlassenen Kontrollposten nahe Zargali

Vor allem die türkischen Luftangriffe haben die Spaltung zwischen der PKK und der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) der größten regierenden Partei im kurdisch-irakischen Autonomiegebiet, noch einmal verschärft. Beide Gruppen ringen seit langem unter der kurdischen Bevölkerung der gesamten Region um Einfluss und stehen wegen der Kontrolle kurdischer Gebiete in Syrien in einem angespannten Verhältnis. Die der PKK nahestehende Partei der Demokratischen Union (PYD) verwaltet die Kurdengebiete Syriens.

Barsani wiegelt ab

Als die türkische Luftwaffe Ende Juli die ersten Luftangriffe flog, forderte Massud Barsani, Präsident der autonomen Kurdenregion im Nordirak und Chef der DPK, in einer Erklärung beide Seiten auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die PKK und viele Kurden kritisierten darauf Barsani, dass er die türkischen Angriffe nicht verurteilt hatte.

"Eine Fortsetzung des Konflikts wäre zum Schaden der Menschen und vor allem der Bewohner der Grenzgebiete des Kurdengebiets", sagte Barsani dazu. "Die Menschen haben ein Recht zu fragen, warum die Region Kurdistan zu einem Schlachtfeld werden soll." Viele sahen darin ein stilles Einverständnis mit den türkischen Angriffen. Barsani hat später den türkischen Angriff auf Zargali verurteilt.

In der stark polarisierten Atmosphäre der kurdischen Politik benutzen die sich rivalisierenden Gruppen meist jeden Vorfall, um untereinander Rechnungen zu begleichen oder dem anderen zu schaden.

Im Gegensatz zu Barsanis Botschaft haben andere kurdische Politiker schärfer auf die türkischen Angriffe reagiert. "Wir verurteilen jeden Rückgriff auf Gewalt und Krieg und fordern einen Stopp der Angriffe", so eine Erklärung von Yusef Sadiq, dem Präsidenten des kurdischen Parlaments im Nordirak. "Der Vorsitz des Parlaments Kurdistans fordert die türkische Regierung auf, Schritte zum Frieden hin zu unternehmen." Die Türkei flog später weitere Luftangriffe und nahm diese Woche die PKK innerhalb der Türkei ins Visier.

Zerstörtes Haus (Foto: DW/M. A. Salih)

Zerstörtes Haus in Zargali

Entzweite Frontkämpfer?

Die Kurden haben im Kampf regionaler Mächte gegen den IS im Irak und in Syrien an vorderster Front gestanden. Der Kurdenexperte Salam Abdulqadir hat die Sorge geäußert, dass eine Fortsetzung der türkischen Luftangriffe die Spannungen zwischen den kurdischen Parteien verschärfen könnten, vor allem die Spannungen zwischen der DPK und der PKK. Und dies, meint Abdulqadir, könnte sich wiederum negativ auf den kurdischen Kampf gegen den "Islamischen Staat" auswirken. "Die PKK-Kämpfer und die (irakisch-kurdischen, d. Red.) Peschmerga-Verbände stehen an manchen Frontabschnitten zusammen", so Abdulqadir. "Weitere Spannungen zwischen ihren Parteien könnten dazu führen, dass die Dinge an der Front schieflaufen, wenn die Spannungen nicht eingedämmt werden."

PKK-Vertreter schließen dagegen aus, dass sich politische Konflikte auf den Kampf gegen den IS auswirken oder gar zu Zusammenstößen zwischen einzelnen Kurdengruppen führen werden. "Ich glaube nicht, dass Kurden an der Front gegeneinander kämpfen werden", sagt Damhat Agid, ein Sprecher der PKK. "Der Kampf gegen den IS wird noch eine ganze Weile weitergehen, und unsere Streitkräfte werden ihren Kampf gegen den IS überall fortsetzen."

Folgen für die Zivilbevölkerung

Während kurdische Parteien versuchen, politisches Kapital aus den jüngsten Kämpfen zwischen Ankara und der PKK zu schlagen, zahlen die Dorfbewohner schon heute den Preis.

Als Hamina Hassan ihr Heimatdorf Zargali verlässt, erinnert sich sie sich an die vielen Male, als ihre Gegend bombardiert wurde, in den 80er Jahren während des kurdischen Aufstands gegen Saddam Hussein durch dessen Truppen und seit den 90er Jahren im Kampf gegen die türkische Regierung durch türkische Streitkräfte.

"Unter Saddam mussten wir nachts oft unsere Häuser verlassen und aus Angst vor irakischen Bombardierungen in die Berge fliehen", sagt Hamina. "Doch die türkischen Bombardierungen sind viel schlimmer."