Die Presse, 13.08.2015

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USA fühlen sich von Regierung in Ankara verschaukelt

Die türkische Armee konzentriert ihre Angriffe auf die kurdische PKK. Gegen IS-Extremisten geht sie kaum vor.

Von unserer Korrespondentin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul. So also sieht die angekündigte Großoffensive von Türkei und USA gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien aus? Kaum hatte die amerikanische Regierung den Beginn der US-Luftangriffe auf den IS von türkischen Stützpunkten aus bekannt gegeben, dementierte die türkische Regierung die Meldung. Es habe lediglich Aufklärungsflüge gegeben, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoğlu in einem Fernsehinterview. Das Gezerre über die Frage, ob nun bombardiert wurde oder nicht, ist ein Zeichen für die wachsenden Spannungen zwischen Ankara und Washington hinter den Kulissen.

Die Wurzel des Streits liegt in den grundverschiedenen Interessen der beiden Partner in Syrien. Für die USA zählt nur der Kampf gegen den IS. Für die Türkei spielt der IS dagegen lediglich eine Nebenrolle. Die Aufmerksamkeit in Ankara konzentriert sich auf die PKK-Kurdenrebellen und auf das Autonomiestreben der syrischen Kurden, die bei der türkischen Regierung im Verdacht stehen, einen eigenen Staat gründen zu wollen. Die Türkei habe den aktiven Kampf gegen den IS nur pro forma aufgenommen, um sich die Rückendeckung der USA und der Europäer für das Vorgehen gegen die Kurdenrebellen der PKK zu sichern, lautet der Verdacht, der in Washington immer unverhohlener geäußert wird.

Fest steht: Die Türkei geht härter gegen die PKK vor als gegen den IS. So besteht in der Zahl der Luftangriffe ein großes Ungleichgewicht. Während die Türkei ihre Luftwaffe fast täglich für Angriffe auf die PKK im Nordirak und in Südostanatolien einsetzt, bedachte sie den IS bisher nur an einem einzigen Tag, dem 24. Juli, mit drei Luftangriffen.

Dass die türkische Luftwaffe seitdem nichts mehr gegen den IS in Syrien unternommen hat, liegt teilweise an noch laufenden Bemühungen, die Aktionen der türkischen Jets mit den Luftangriffen anderer Mitglieder der internationalen Anti-IS-Koalition zu koordinieren. Aber das ist nicht der einzige Grund. US-Regierungsvertreter haben den Eindruck, dass Ankara unter dem Deckmantel des Ende Juli verkündeten Anti-Terror-Kampfes vor allem die PKK-Rebellen im Visier hat und den IS gewähren lässt.
Das „Wall Street Journal“ zitierte einen hochrangigen US-Militärvertreter mit den Worten, die Türkei habe nach einem Vorwand gesucht, um gegen die PKK losschlagen zu können. Der angebliche Kampf gegen den IS habe diesen Vorwand geliefert. Türkische Regierungsvertreter hätten die PKK als Priorität bezeichnet, während der Kampf gegen den IS „weniger dringend“ sei.

Washington fühlt sich von der Türkei verschaukelt und lässt deshalb immer mehr Details an die Öffentlichkeit durchsickern, die Ankara schlecht aussehen lassen. So meldete der US-Sender Fox News, die Türkei habe beim Start ihrer Angriffe auf die PKK im Nordirak die amerikanischen Militärs nur zehn Minuten vor dem ersten Bombardement informiert. Die US-Generäle waren entsetzt, weil im Nordirak amerikanische Ausbilder tätig sind, die Truppen der autonomen nordirakischen Kurdenregion für den Kampf gegen den IS schulen.

Auch beim Thema der von Ankara angestrebten Schutzzone im Norden Syriens gehen die Meinungen weit auseinander. Die US-Regierung distanzierte sich bereits mehrmals von dem Plan, doch für die Türken ist das Projekt als Bollwerk gegen die befürchtete Ausweitung des Gebietes der syrischen Kurden sehr wichtig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)