spiegel.de, 15.08.2015

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"Patriot"-Raketenabwehr: Bundeswehr beendet Einsatz in der Türkei

Von Matthias Gebauer

"Patriot"-Abwehrstaffel in Kahramanmaras (Archivfoto): Innenpolitisch wurde der Bundeswehreinsatz wegen der Angriffe auf die PKK kontrovers diskutiert

Der Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Türkei endet noch 2015. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE will die Bundesregierung die "Patriot"-Raketenabwehrsysteme abziehen, die zum Schutz vor syrischen Luftangriffen dort stationiert sind.

Die Bundesregierung beendet den Bundeswehreinsatz in der Türkei. Innerhalb der Regierung wurde nach Informationen von SPIEGEL ONLINE in den letzten Tagen vertraulich beschlossen, die in der Südtürkei stationierten "Patriot"-Raketenabwehrsysteme samt der rund 260 deutschen Soldaten in den kommenden Monaten abzuziehen und das Bundestagsmandat für den Auslandseinsatz nicht zu verlängern.

Am Samstag will die Regierung den Bundestag über die Entscheidung informieren, den deutschen Beitrag an der Nato-Mission "Active Fence" zum Schutz der Türkei gegen Raketenangriffe aus Syrien auslaufen zu lassen.

Als Grund für das Ende des zuletzt in Berlin umstrittenen Einsatzes an der südlichen Grenze des Nato-Partners wird die nicht mehr gegebene Gefahr syrischer Angriffe auf türkisches Hoheitsgebiet genannt.

Die Nato hatte den Einsatz 2012 begonnen. Man fürchtete, das syrische Regime könnte mit ballistischen Raketen auf die Türkei feuern. Allerdings haben die sensiblen Radars der Raketenabwehr-Batterien, die von Deutschland, den Niederlanden und den USA gestellt worden waren, seitdem keinen Angriff aus Syrien registriert. Deswegen drängte die Luftwaffe schon seit 2014 auf ein Ende des Einsatzes.

"Patriot"-Einsatz ist für Luftwaffe eine Belastung

Die Nato-Mission dürfte mit dem deutschen Abzug endgültig auslaufen. Die Niederlande haben ihre "Patriots" bereits abgezogen. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE wollen die USA ihren Einsatz in der Südtürkei ebenfalls im Oktober 2015 beenden.

Bisher sind die Entscheidungen noch nicht im Kreis der Nato abgestimmt. Die Allianz hatte den Schutz gegen mögliche Angriffe stets als starkes Zeichen der Solidarität mit der Türkei verkauft. Seit dem Beginn der Offensive der Türkei gegen den "Islamischen Staat" (IS), der mit heftigen Luftangriffen gegen die kurdische Guerilla-Einheiten der PKK einherging, gab es jedoch auch Kritik an der Politik Ankaras.

Für die Bundeswehr war der Einsatz eine fordernde Aufgabe. Zwar verfügt die Truppe über die hochmoderne "Patriot"-Technik. Durch den jahrelangen Einsatz in der Türkei aber wurde die Mission für die Luftwaffe zur Belastung, weil es nur wenig Bedienerpersonal für die Abwehrbatterien gibt.

Derzeit sind rund 260 deutsche Soldaten mit zwei Staffeln des Systems in der türkischen Provinz Anatolien stationiert. Rund 160 Kilometer von der syrischen Grenze sollen sie die Großstadt Kahramanmaras schützen. Die Soldaten dort haben ihre Technik auf einem türkischen Militärgelände stationiert.

Kritik an türkischen Luftangriffen gegen kurdische PKK

In den letzten Wochen war der deutsche "Patriot"-Einsatz wegen des massiven militärischen Vorgehens der Türkei gegen die PKK im Norden Syriens und im Irak innenpolitisch kontrovers diskutiert worden.

Selbst aus der schwarz-roten Koalition gab es Forderungen, den Einsatz möglicherweise abzubrechen, wenn die türkische Luftwaffe weiter hart gegen den militärischen Arm der kurdischen Arbeiterpartei vorgeht.

Die Nato hatte die türkische Offensive gegen Truppen des IS zwar offiziell begrüßt, intern aber werfen einige Länder Ankara vor, nur gegen die Islamistentruppe vorzugehen, um gleichzeitig die Kurden anzugreifen.

Bisher ist unkalkulierbar, wie die Türkei auf den deutschen Abzug reagieren wird. Noch 2014 drängte der Nato-Partner auf das Symbol der Solidarität. Zuletzt forderte Ankara auch für das aktuelle militärische Vorgehen verbale Gesten des Beistands der Nato.

Die Bundesregierung aber will keine Verbindung zwischen der aktuell fragilen Beziehung zur Türkei und dem Abzug herstellen. Vielmehr seien sich die Geheimdienste einig, dass Syriens Machthaber Baschar al-Assad nur noch über wenige Raketen verfüge. Militärisch steht das Regime so massiv unter Druck, dass ein Angriff auf den Nato-Partner Türkei ein Selbstmordkommando wäre.

Die gegenwärtige Lage in der Türkei, vor allem die steigende Zahl von Terrorattacken auch weit weg von der syrischen Grenzlinie, hatte die Bundeswehr aktuell alarmiert. Wegen der gestiegenen Gefahr hatte die Truppe die Sicherheitsmaßnahmen für die eigenen Soldaten bei Kahramanmaras kürzlich verschärft. Die Deutschen verlassen seitdem das geschützte Camp nur noch in dringenden Fällen und dann nicht in Uniform. Den Nato-Partner Türkei bat man um mehr Schutz für die eigenen Leute. Nur Tage später fiel in Berlin das Votum für den deutschen Abzug.