welt.de, 15.08.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article145249651/Tuerkei-gefaehrdet-Sicherheit-deutscher-Soldaten.html

Cem Özdemir

"Türkei gefährdet Sicherheit deutscher Soldaten"

Die Türkei bombardiert den Islamischen Staat und die PKK – für Cem Özdemir die falsche Strategie. Der Co-Vorsitzende der Grünen kritisiert Ankara scharf, denn wichtige Kräfte würden geschwächt. Von Deniz Yücel , Bodrum

Cem Özdemir, der Co-Vorsitzende der Grünen, hält der türkischen Regierung vor, es mit der Bekämpfung des Islamischen Staates nicht ernst zu meinen – und er kritisiert die Bundesregierung, dieses Verhalten durchgehen zu lassen. Ein Hoffnungsträger ist für ihn die prokurdische HDP. Sein Rat an sie: Weniger links sein.

Die Welt: Herr Özdemir, Sie machen gerade mit Ihrer Familie Urlaub in der Türkei. Haben Sie keine Sorgen wegen der Sicherheit?

Cem Özdemir: Wenn man sich nicht dort bewegt, wo heftig geschossen wird und jeden Tag Menschen ums Leben kommen, dann hat sich nicht groß etwas geändert.

Die Welt: Aber gibt es an den Küstenorten keine erhöhte Anschlagsgefahr?

Özdemir: Doch. Die Türkei ist näher am Brennpunkt und trägt selber dazu bei, dass der Brand nicht so schnell erlischt. Aber Terrorismus macht vor keinem Land Halt. Wenn Sie davor ganz sicher sein wollen, dann dürfen Sie Ihre Wohnung nicht verlassen.

Die Welt: In der Türkei wird wohl bald wieder gewählt. Ist das gut oder schlecht?

Özdemir: Ich halte das für bedauerlich, weil die Türkei wertvolle Zeit verliert. Und die Reaktionen der Wirtschaft zeigen ja, dass viele darauf gesetzt hatten, dass die eigentlich unmögliche, aber angesichts des Reformstaus sinnvolle Koalition zwischen der AKP und der CHP zustande kommt. Aber offensichtlich war das von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nicht erwünscht. Allerdings war es bemerkenswert, wie freundlich Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu übereinander gesprochen haben. Das klang, als würden beide davon ausgehen, dass sie sich nach einer Neuwahl im November wiedersehen.

Die Welt: Weil eine neue Wahl ungefähr so ausgehen würde wie die letzte (Link: http://www.welt.de/143753507) ?

Özdemir: Ja. Im Moment spricht ja vieles dafür, dass die HDP erneut den Sprung ins Parlament schafft und damit Erdogans Traum von der Alleinherrschaft endgültig ausgeträumt sein wird. Und dann wird die Türkei hoffentlich eine stabile Regierung bekommen, die die Probleme anpackt, allen voran den Friedensprozess mit den Kurden.

Die Welt: Der löst sich gerade im Pulverdampf auf. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Wahlausgang und den Militäroperationen?

Özdemir: Erdogan verfolgt offensichtlich zwei Ziele: Zum einen will er die Kurden und jede Art von kurdischer Entität jenseits der Grenze schwächen. Und zum anderen will er sich an der HDP rächen, weil deren Co-Vorsitzende Selahattin Demirtas (Link: http://www.welt.de/143993396) vor der Wahl versprochen hatte: "Wir werden dich nicht zum Präsidenten machen."

Die Welt: Das klingt, als würden Sie nicht viel vom türkischen Kampf gegen den Islamischen Staat halten.

Özdemir: Das ist ein Kampf mit angezogener Handbremse. Für die Amerikaner mag es Sinn ergeben, den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik zu nutzen. Aber der Preis dafür ist sehr hoch: Jetzt werden die Kräfte geschwächt, die am wirkungsvollsten gegen die Isis kämpfen. Und das sind die Kurden.

Die Welt: Als Ihre erste Reaktion auf die Luftangriffe haben Sie noch gesagt, die Türkei habe den wirklichen Feind erkannt – nämlich den IS.

Özdemir: Wenn die Türkei ihre – je nach Sichtweise – duldende oder gar aktiv unterstützende Haltung gegenüber der IS aufgeben und ohne jedes Wenn und Aber auf die Seite der IS-Gegner wechseln würde, würde das den IS deutlich schwächen. Von Kämpfern, die über die Türkei einreisen, bis zu den finanziellen Mittel des IS – das sind Dinge, die ganze Leitz-Ordner füllen. Und mir kann niemand weismachen, dass der türkische Geheimdienst davon nichts wüsste.

Die Welt: Damit dürfte er nicht der Einzige sein.

Özdemir: Sicher. Und mich verwundert, dass der Westen und auch die Bundesregierung nicht deutlichere Worte finden. Das gilt gerade für die Union, die sich mit dem Zuzug von Flüchtlingen aus der Region so schwertut. Wenn man will, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, dann sollte man die Türkei dazu auffordern, alles Notwendige zu tun, um den IS zu stoppen. Und das ist nicht der einzige Grund: Das Handeln der Türkei gefährdet die Sicherheit deutscher Soldaten, die in der Region stationiert sind. Und es gefährdet das Leben derjenigen, die aktiv gegen den IS kämpfen.

Die Welt: Auf welcher Seite steht die Türkei denn jetzt?

Özdemir: Sie steht gegen die kurdische Seite. Aber jede Schwächung der Kurden führt dazu, dass man indirekt den IS stärkt. Denn mit Luftschlägen allein ist der nicht zu stoppen.

Die Welt: Die Türkei sagt: "Wir bekämpfen die PKK (Link: http://www.welt.de/144734805) , die auch in Deutschland als terroristisch gilt."

Özdemir: Es war ja nicht Cem Özdemir oder ein anderer deutscher Politiker, der Geheimverhandlungen mit der PKK geführt hat, das war der Geheimdienstchef Hakan Fidan im Auftrag seines Chefs Tayyip Erdogan – im Übrigen von uns befürwortet. Denn die letzten 30 Jahre haben gezeigt, dass beide Konfliktparteien keine Aussicht haben, militärisch etwas zu erreichen.

Die Welt: Wenn man die Kurden stärken will, müsste dann nicht Deutschland das PKK-Verbot aufheben?

Özdemir: Das wäre jetzt der falsche Zeitpunkt, schließlich hat die PKK wieder zur Gewalt gegriffen und damit selber dazu beigetragen, dass diese Frage wieder in die Ferne gerückt ist. Aber für alle Ewigkeit ausschließen will ich das nicht. Doch das hat die PKK selber in der Hand. Und jede Bombe der PKK ist nicht nur ein barbarischer Akt, sondern stärkt in der Türkei die nationalistischen Kräfte und schwächt die HDP.

Die Welt: Die Grünen hatten die Deutschtürken dazu aufgerufen, die HDP zu wählen. Wie finden Sie deren Verhalten seit der Wahl?

Özdemir: Die HDP hat sehr viel richtig gemacht, indem sie auch die Gewalt der PKK kritisiert und alle Seiten dazu aufgerufen hat, die Waffen niederzulegen. Schon durch ihre Anträge in der letzten Legislaturperiode war klar geworden, dass sich die HDP von einer PKK-nahen Organisation zu einer gesamttürkischen Reformpartei entwickelt, für die Ökologie, Feminismus und Demokratie für alle ethnischen und religiösen Gruppen eine wichtige Rolle spielen.

Die Welt: Haben Sie direkte Kontakte zur HDP?

Özdemir: Natürlich. Und wir freuen uns sehr, dass Selahattin Demirtas unsere Einladung angenommen hat und bald nach Deutschland kommen wird. Wir möchten der HDP dabei helfen, dass sie zu einer Reformpartei für die ganze Türkei wird.

Die Welt: Eine Art Entwicklungshilfe?

Özdemir: Sagen wir es mal so: Ich finde nicht, dass die HDP alle Fehler der Syriza (Link: http://www.welt.de/145231112) in Griechenland wiederholen muss. Und in Deutschland gab es ja zwei Parteien, die der HDP die Daumen gedrückt haben – wir und die Kollegen von der Linkspartei. Wenn ich einen Rat an die HDP frei hätte, würde der lauten, dass sie sich mehr die Grünen zum Vorbild nimmt.

Die Welt: Also, weniger links sein?

Özdemir: Die HDP verfolgt die richtige Strategie, sich weiteren Bevölkerungsschichten zu öffnen. Und was ich von meinen Verwandten im Westen der Türkei höre, die keine klassischen HDP-Wähler sind, ist die Partei auf dem richtigen Weg. Davon darf sie sich weder von Provokationen der Regierung noch durch den Terrorismus der PKK abbringen lassen.

Die Welt: Gab es in Ihrer Partei interne Kritik an diesem Wahlaufruf? Es gibt ja viele Deutschtürken, die hier die Grünen wählen, es in der Türkei aber mit der AKP halten.

Özdemir: Es gab diese Kritik, es gab deswegen sogar ein paar Austritte. Aber es gab auch Leute, die deshalb eingetreten sind. Das ist eine Bereinigung.