junge Welt, 20.08.2015 Anti-IS-Kampf wird sabotiert Deutsche Ausreiseverbote treffen nicht nur IS-Anhänger und Dschihadisten, sondern auch deren entschiedenste Gegner Von Nick Brauns Die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ in Nordsyrien erlangten nach der erfolgreichen Verteidigung der kurdischen Stadt Kobani im Norden Syriens Ruhm als effektivste Kämpfer gegen den »Islamischen Staat« (IS). Selbst die USA wollen die Kooperation mit den YPG und YPJ als Bodentruppen in der Anti-IS-Allianz nicht missen. Doch für die Bundesregierung handelt es sich bei YPG und YPJ schlicht um »terroristische Vereinigungen«. Das macht die Antwort auf eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, zu »Wiederaufbau von Kobani und Berichte über behördliches Vorgehen gegen Rojava-Solidarität« deutlich. Die in den kurdischen Siedlungsgebieten in Nordsyrien politisch führende Partei der Demokratischen Union (PYD) gelte als »Zweig der Terrororganisation« Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Syrien und die YPG/YPJ seien deren »militärischer Arm« zur Umsetzung von Autonomiebestrebungen, lautet der Schluss der Regierung. Entsprechend finden Gesetze, die mit der Bekämpfung dschihadistischer Terrorgruppen gerechtfertigt wurden, auch gegen deren entschiedenste Gegner Anwendung. Im April hatte der Bundestag beschlossen, dass zur Umsetzung von Ausreiseverboten nicht nur der Reisepass, sondern auch der Personalausweis eingezogen werden kann. Tatsächlich wurden nach Angaben der Bundesregierung bislang »im niedrigen dreistelligen Bereich« Ausreiseverbotsverfügungen gegen Dschihadisten erlassen. Doch gab es auch drei Ausreiseverbote gegen Personen »aus dem Bereich PKK« und aus dem Bereich der Marxistisch-Leninistisch-Kommunistischen Partei (MLKP) der Türkei, die sich den genannten »Terrororganisationen« – gemeint sind YPG und YPJ – in Nordsyrien anschließen wollten. Da Ausreiseverbote Länderangelegenheit sind, müssen diese Angaben der Bundesregierung nicht vollständig sein. Bekannt wurde der Fall der jungen Duisburgerin Sofie K. Die Aktivistin des kommunistischen Jugendverbandes Young Struggle wurde am 18. Juni am Düsseldorfer Flughafen von der Bundespolizei an der Ausreise gehindert (jW berichtete). K. wollte sich an einer humanitären Brigade zum Bau eines Gesundheitszentrums in Kobani beteiligen. Doch die deutschen Behörden unterstellten ihr, sich dem bewaffneten Widerstand gegen den IS anschließen zu wollen. Zur »Gefahrenabwehr« erhielt K. ein Ausreiseverbot, sie musste Reisepass und Personalausweis abgeben. Gefragt, ob sie generell eine Beteiligung deutscher Staatsbürger oder hier lebender Personen am bewaffneten Widerstand gegen den IS in Syrien und dem Irak für unzulässig halte, erklärt die Bundesregierung, »Rekrutierungen und andere Unterstützungsleistungen für den bewaffneten Kampf terroristischer Gruppen« zu missbilligen. Das Gefährdungspotential von an der Waffe und mit Sprengstoffen ausgebildeten Kämpfern sei erheblich. »Wenn die Bundesregierung die kurdischen Kräfte kriminalisiert, sabotiert sie damit den Kampf gegen den IS«, wirft die Abgeordnete Ulla Jelpke der Bundesregierung diese »faktische Gleichsetzung mit den IS-Mördern« vor. Selbst vor einer nachträglichen Kriminalisierung getöteter Kämpfer schrecken die deutschen Behörden nicht zurück. So beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft am 14. August den Leichnam des 21jährigen Internationalisten Kevin Jochim am Düsseldorfer Flughafen für eine gerichtsmedizinische Untersuchung. Jochim hatte sich 2012 den YPG in Nordsyrien angeschlossen, Anfang Juli war er im Kampf gegen den IS gefallen. Die Behörden hatten es nicht für nötig gehalten, Jochims Familie von der geplanten Beschlagnahme des Leichnams vorab zu informieren. Die für den folgenden Tag angesetzte Beerdigung in Jochims Heimatstadt Karlsruhe musste daher bereits zum zweiten Mal abgesagt werden, nachdem zuvor irakisch-kurdische und türkische Behörden die Überführung des Sarges wochenlang verzögert hatten. »Somit wird der Familie durch staatliche und gerichtliche Beschlüsse ein weiteres Mal die Möglichkeit eines würdevollen Abschieds und Gedenkens genommen«, kritisiert das Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Deutschland, Nav-Dem, das Vorgehen der deutschen Behörden. Ein neuer Beerdigungstermin wurde noch nicht bekanntgegeben.
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