Frankfurter Rundschau, 20.08.2015

"Islamischer Staat"

Türkei und USA wollen IS-freie Pufferzone

Von Frank Nordhausen

Die amerikanische und die türkische Regierung haben sich darauf geeinigt, eine Pufferzone im Norden Syriens einzurichten. Die vielleicht wichtigste Frage bleibt aber unbeantwortet.

Die USA und die Türkei haben sich in einer schriftlichen Grundsatzvereinbarung auf die Grundzüge einer zukünftigen militärisch gesicherten Pufferzone in Nordsyrien geeinigt. Wie die englischsprachige „Hürriyet Daily News“ aus Istanbul am Donnerstag berichtete, beinhaltet das sogenannte Memorandum of Understanding, das die Zeitung einsehen konnte, einen Zweistufenplan.

Im ersten Schritt soll die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) aus einem rund 100 Kilometer langen und 50 Kilometer tiefen Gebiet entlang der türkischen Grenze zwischen den Städten Dscharablus westlich des Euphrats und Azaz nördlich von Aleppo vertrieben werden. In der zweiten Phase sollen Einheiten der „moderaten“ Rebellenmiliz Freie Syrische Armee (FSA) in das Gebiet einrücken und es absichern.

Wer den Weg freikämpft, bleibt unklar

Der neue Plan beinhaltet in der „Säuberungsphase“ Luftangriffe US-amerikanischer und türkischer Kampfjets von der Nato-Basis Incirlik gegen den IS und zur Unterstützung „lokaler Kämpfer“. Anschließend sollen in der IS-freien Zone Zeltlager für syrische Flüchtlinge errichtet werden, die derzeit in der Türkei leben und freiwillig dorthin umziehen wollen. Die Vereinbarung betont die Freiwilligkeit, vermutlich um Gerüchte nicht weiter anzuheizen, die unter Flüchtlingen in der Türkei kursieren. Zahlreiche Syrer glauben, dass sie zwangsweise in die Pufferzone gebracht werden sollen, ein bedeutender Grund, warum so viele derzeit über das Mittelmeer auf griechische Inseln fliehen.

Das Memorandum wurde laut Hürriyet den Präsidenten der USA und der Türkei, Barack Obama und Recep Tayyip Erdogan, unterzeichnet. Interessant ist, wozu es keine oder unklare Aussagen trifft. So wird nicht näher erläutert, wer die Pufferzone am Boden gegen die Dschihadisten freikämpfen soll. Derzeit kontrolliert der IS rund zwei Drittel des fraglichen Gebiets, den Rest teilen sich lokale Rebellentruppen wie „Nordsturm“ in Azaz und die islamistische Miliz Ahrar al-Sham. Von einer 5000 Mann starken Armee türkischstämmiger syrischer Turkmenen, die in früheren Berichten als mögliche Interventionstruppe genannt wurden, steht nichts im Memorandum. Ebenso bleibt unklar, woher die moderaten Rebellen zur Verteidigung der Pufferzone kommen sollen.

Kurden sind Verbündete und Feinde zugleich

Die Vereinbarung vermeidet laut „Hürriyet“ auch, die in den syrischen Kurdengebieten regierende Partei der Demokratischen Union (PYD) namentlich zu nennen. Die PYD wird einerseits von den USA als Verbündeter gegen den IS anerkannt, gilt andererseits in Ankara aber als Feind, da sie ein Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK ist, gegen die das türkische Militär derzeit wieder Krieg in Südostanatolien führt. Mündlich hätten die Vertragspartner aber vereinbart, dass die PYD den Euphrat nicht gen Westen überqueren dürfe und auch keine Truppen des syrischen Regimes in der Pufferzone geduldet würden, schreibt „Hürriyet“. Die Türkei habe erklärt, dass sie die kurdischen Truppen angreifen würde, falls diese die Flusslinie überschreiten sollten.

Derzeit fliegen nur die Amerikaner Angriffe auf den IS, doch sollen sich türkische Kampfjets demnächst daran beteiligen. Das Memorandum sieht vor, dass die USA weitere Kampfjets nicht nur in Incirlik, sondern in drei weiteren Orten des türkischen Südostens stationieren dürfen. Insgesamt sollen 26 amerikanische F-16-Kampfflugzeuge und vier Kampfdrohnen zum Einsatz kommen.

Unterdessen bereitet sich die Türkei nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen auf Neuwahlen vor, die nach einem Vorschlag der obersten Wahlbehörde am 1. November stattfinden könnten. Für die neue Abstimmung muss Staatspräsident Erdogan gemäß der Verfassung einen Übergangs-Ministerpräsidenten bestimmen. In der Übergangsregierung müssen alle Parlamentsfraktionen vertreten sein, doch haben die zwei größten Oppositionsparteien CHP und MHP sich bereits dagegen ausgesprochen.
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