Die Presse, 23.08.2015 http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/4804690/Als-die-Kurden-einen-eigenen-Staat-hatten Als die Kurden einen eigenen Staat hatten Das kurdische Volk, verteilt auf mehrere Länder, ist Spielball der Groß- und Regionalmächte. Das Streben nach umfassender Selbstbestimmung war meist vergeblich. von Gerhard Bitzan Ghazi Mohammed ist in den Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ein angesehener Mann: Richter, Lehrer, islamischer Gelehrter und als erster Vorsitzender der DKP-I, der „Demokratischen Partei Kurdistans – Iran“ auch wichtiger Politiker. Er lebt in Mahabad, einer großen kurdischen Stadt im westlichen Iran. Zu dieser Zeit ist das persische Reich besetzt – im Süden von den Briten, im Norden von den Sowjets. Die Großmächte sind 1941 einmarschiert, um zu verhindern, dass sich Teheran den Achsenmächten anschließt und um Waffennachschub, vor allem von den USA für die Sowjetunion sicherzustellen. Mahabad liegt in einer gebirgigen Randlage und damit in einem nicht direkt besetzten Machtvakuum. Für die Kurden in dem Gebiet keine schlechte Situation. Die früher so lästigen Polizisten und Beamten aus Teheran ist man los und die Sowjets lassen den Kurden relativ viele Freiheiten. Und so reift bei Ghazi Mohammed und seinen Getreuen die Idee, sich einen alten Traum der Kurden zu erfüllen und auf einen eigenen Staat hinzusteuern. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Gelegenheit gut, der Kalte Krieg bahnt sich an und die Sowjets wollen den aufkeimenden Einfluss der USA auf den Iran etwas eindämmen. Im Sommer 1945, also vor nun 70 Jahren, signalisieren sie Bereitschaft für einen Kurdenstaat, Ghazi Mohammed reist im September nach Baku, um mit der dortigen Sowjetführung die Details zu verhandeln – und bekommt grünes Licht. Parallel dazu helfen die Sowjets auch linksgerichteten Separatisten in Täbris, der Hauptstadt der Provinz Iranisch-Aserbaidschan. Nur kurze Zeit nachdem sich diese offiziell von Teheran lossagen, verkündeten auch die Kurden von Mahabad die Gründung ihrer Republik. Am 22. Jänner 1946 ist es dann so weit. Zehntausende Menschen in bunter kurdischer Nationaltracht versammeln sich auf dem Vierlampen-Platz im Zentrum der Stadt, wo Ghazi Mohammed die kurdische Republik Mahabad offiziell ausruft – eine Republik mit eigener Flagge, Kurdisch als Amtssprache und Ghazi Mohammed als Präsidenten. Nur knapp halb so groß wie Österreich ist das Staatsgebiet, hat rund eine Million Einwohner. Aber immerhin: Ein alter Traum geht in Erfüllung. Die ersten Monate des neuen Staates sind erfolgversprechend: Ghazi Mohammed fördert Bildung, gibt den christlichen und jüdischen Minderheiten Schutz, lässt das Schulsystem ausbauen, unterstützt die Rechte der Frauen – und eröffnet Mädchenschulen. Damit eckt er bei den Konservativen an. Wie er das löst, erzählt später sein Sohn Ali Qazi in einem Interview. „Mein Vater hat gesagt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt seien. Die fundamentalistischen Geistlichen haben dagegen protestiert. Daraufhin hat er sie zu einem Seminar gerufen, drei Tage lang diskutiert – und sie überzeugt.“ Doch bald beginnen erste Zwistigkeiten. Mahabad wurde mit sowjetischer Billigung ausgerufen und daher ist man Stalin dankbar, auch wenn die Führungsspitze nicht kommunistisch ist. Doch mit der Zeit kommen bei vielen Feudalherren und religiösen Würdenträgern Zweifel ob des sowjetischen Einflusses auf und manche knüpfen geheime Kontakte mit Teheran. Dort regiert der noch junge Schah Mohammed Reza Pahlevi, dem ein gewiefter Regierungschef zur Seite steht: Mohammad Ghawan, genannt der „alte Fuchs“, nimmt einige Führer der moskautreuen kommunistischen Tudeh-Partei in sein Kabinett, um guten Wind zu machen und reist zu Stalin. Dem bietet er die Ölbohrrechte auf den nordiranischen Ölfeldern an, wenn sich die Sowjets von den persischen Gebieten zurückziehen. Stalin willigt ein – und damit ist das Schicksal der jungen Republik besiegelt. Die Sowjets ziehen ab, der Schah schickt Truppen in den Nordwesten. Als Erstes erobern sie Iranisch-Aserbaidschan zurück – die Führer flüchten in die Sowjetunion, tausende sterben. Und dann rückt die Armee auf Mahabad. Die Generäle bieten Ghazi Mohammed einen Deal an: Verhandlungen, wenn es keinen Widerstand gibt. Ghazi Mohammed sagt zu und am 16. Dezember 1946 marschiert die Schah-Armee kampflos ein. Doch wie so oft in der Geschichte scheren sich die Sieger wenig um ihre Versprechungen: Ghazi Mohammed, sein Cousin und sein Bruder werden wenige Wochen später hingerichtet. Die kurdische Republik Mahabad wird zerschlagen und die kurdische Kultur in den kommenden Jahrzehnten unterdrückt. Bis heute. Wieder einmal ist der Traum eines eigenen Staates zerplatzt und wie so oft werden die Kurden Opfer der Großmachtpolitik bzw. der Regionalmachtpolitik. „Die verkaufte Republik“ wird dieser Kurdenstaat auch genannt. Aber auch in anderen Ländern, in denen Kurden leben – neben dem Iran sind das der Irak, Syrien und vor allem die Türkei –, sind die Kurden ein Spielball von Großmachtinteressen. In der Türkei gibt es nach dem Ersten Weltkrieg die bisher größte Chance für einen Kurdenstaat oder zumindest für umfassende Autonomie. Die Entente hat gewonnen, das Osmanische Reich zerbricht; 1920 wird im Pariser Vorort Sevres ein Friedensvertrag abgeschlossen. Und in dem finden sich zwei Paragrafen, die ein kurdisches Autonomiegebiet mit kultureller und politischer Selbstverwaltung vorsehen. Die Kurden jubeln, aber der Vertrag wird von türkischer Seite nicht ratifiziert. In den Folgemonaten wird Mustafa Kemal Atatürk, der eine türkisch-nationalistische Politik vertritt, zur führenden Persönlichkeit in der neuen Türkei. 1923 wird er Präsident und im selben Jahr wird auch der Vertrag von Lausanne zwischen der Türkei und mehreren Großmächten unterzeichnet. Und siehe da, der Passus über die kurdische Autonomie kommt da nicht mehr vor. Offenbar ist ein gutes Verhältnis zum neuen starken Mann der Türkei wichtiger als das kurdische Volk. Von da an werden die Kurden als Bergtürken bezeichnet, die Verwendung der Sprache wird untersagt, die kurdische Kultur unterdrückt. Doch der Wunsch nach Eigenständigkeit bleibt, 1930 starten die Kurden beim Berg Ararat einen Aufstand gegen die Nationalisten in Ankara und proklamieren die kurdische Republik Ararat. Die wird aber von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen und wenig später übernimmt die türkische Armee wieder die Kontrolle: Jahre der Unterdrückung und Vertreibung folgen. Interessant, dass ausgerechnet der heutige Präsident Erdoğan in seiner Zeit als Premierminister in einen Dialog mit den Kurden eingetreten ist und eine friedliche Lösung versprochen hat. Umso größer die Verbitterung, dass es heute Erdoğan wichtiger ist, gegen Kurden vorzugehen, Stellungen der verbotenen Arbeiterpartei (PKK) zu bombardieren und kurdischen Nachschub nach Syrien behindern zu lassen, als die gefährlichen IS-Kämpfer im syrischen Grenzgebiet zu bekämpfen. Die USA und die Nato-Staaten drücken die Augen zu, weil sie dafür Militärbasen in der Türkei benutzen dürfen. Alles wie gehabt: In der Geschichte des Nahen Ostens sind die Großmächte eher an den Erdöllagerstätten und an strategischen Vorteilen interessiert als an den Kurden. Das zeigt sich besonders auch bei den Kurden des Irak, die je nach Bedarf in ihren Autonomiebestrebungen von den Sowjets, USA oder auch vom Iran unterstützt oder fallen gelassen werden. Derzeit haben sie eine Phase relativer Eigenständigkeit in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Detail am Rande: Oberster Kurdenführer im Nordirak ist heute Masud Barzani, der Sohn von Molla Mustafa Barzani. Dieser legendäre Kurdenführer reiste damals, im Jänner 1946, mit 3000 Kämpfern ins iranische Mahabad, um an den dortigen Feiern der jungen Kurdenrepublik teilzunehmen und Lehren für eigene Staatsgründungen zu ziehen. Das Ergebnis ist bekannt. die Kurden Die Kurden sind eines der ältesten Kulturvölker der Erde. Schon vor 4000 Jahren werden sie in sumerischen Texten erwähnt. Kurdisch ist mit der persischen Sprache verwandt. Die Zahl der Kurden kann nur geschätzt werden – zwischen 25 und 40 Millionen. Die Kurden leben verstreut in mehreren Länder – vor allem in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Sie kämpfen dort für mehr Autonomie und Selbstbestimmung. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2015)
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