junge Welt, 01.09.2015

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»Erdogan überzieht Kritiker im Ausland ständig mit Klagen«

Ein ehemaliges Grünen-MdB soll offenbar auf dem Gerichtswege eingeschüchtert werden. Ein Gespräch mit Memet Kilic

Interview: Gitta Düperthal

Memet Kilic ist Rechtsanwalt und ehemaliger Bundestagsabgeordneter (Bündnis 90/Die Grünen)

Sie behaupten, in Deutschland treibe ein konspiratives Netzwerk des türkischen Geheimdienstes sein Unwesen. Ziel sei, türkischstämmige Politiker für die Politik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zu gewinnen – oder mit Klagen einzuschüchtern. Am Mittwoch gibt es eine entsprechende Verhandlung gegen Sie vor dem Landgericht Heidelberg. Worum geht es?

Angeblich habe ich Ozan Ceyhun beleidigt – Berater Erdogans, ehemals SPD-Europaabgeordneter, AKP-Mitglied und Kandidat für die türkische Nationalversammlung. Zur Vorgeschichte: Ich hatte am 24. Dezember 2014 per Twitter geschrieben: »Wer Islamisten nicht bekämpft, kann Pegida nicht bekämpfen. Die erste Aufgabe wurde sträflich vernachlässigt (Erdogan und seine Truppen).« Darauf bezog sich Ceyhun und behauptete, ich hätte alle türkischen Migranten als Islamisten und »Erdogans Truppen« beleidigt. Das sei dumm und peinlich. Als ich es ihm mit gleichen Worten zurückgab, verklagte er mich. Und die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Nebahat Güclü – damals noch bei den Grünen – wetterte prompt gegen mich im Internet.

Es klingt banal, hat aber einen ernsten Hintergrund: Es ist bekannt, dass Erdogan seine Kritiker im Ausland ständig mit Klagen überzieht. Ceyhan wurde prompt mit einem aussichtsreichen Listenplatz in Izmir belohnt – aus dem erhofften Mandat wurde aber nichts, weil die AKP bei der Wahl am 7. Juni an der absoluten Mehrheit scheiterte. In der Hoffnung, bei den bevorstehenden Neuwahlen doch noch in das Parlament einziehen zu können, hat er nun die Klage gegen mich initiiert.

Erdogan hat ein Netz von Geheimdienstleuten in Deutschland geschaffen, es wird unter Nutzung aller möglichen Tricks auch über türkischstämmige Geschäftsleute und deren Mittelsmänner finanziert. Darüber ist leider kaum etwas in der Öffentlichkeit bekannt, ich fürchte, dass die deutsche Politik diese Machenschaften eher auf die leichte Schulter nimmt.

Warum, meinen Sie, hat Erdogans Geheimdienst Sie ins Visier genommen?

Als Erdogan 2012 Deutschland besuchte, gab es am 17. März in Bochum eine Protestkundgebung gegen ihn. Als Redner habe ich bei dieser Gelegenheit vor 50.000 Demonstranten seine Intoleranz angeprangert. Anschließend gab es in Internet-Netzwerken – offenbar koordinierte – Drohungen gegen mich. Ebenso nach den Gezi-Protesten ab Mai 2013 in der Türkei, bei denen Demonstranten getötet und verwundet wurden. Daraufhin hatte ich mich für die Meinungsfreiheit eingesetzt.

Sie nannten den Namen Ihrer ehemalige Parteifreundin Güclü – gibt es Anhaltspunkte, dass aus Ihrer Partei heraus dem türkischen Geheimdienst zugearbeitet wird?

Außer ihr gibt es noch mehr glühende Anhänger Erdogans. Güclü war von selbst zurückgetreten, als ihr ein Parteiausschluss drohte; mit Hilfe der Stimmen von Erdogans Anhängern hat sie es dann aber noch einmal in die Hamburger Bürgerschaft geschafft. Weitere Anhänger werde ich zu gegebener Zeit benennen.

Wie ist Ihre Äußerung zu verstehen: »Wer Islamisten nicht bekämpft, kann Pegida nicht bekämpfen«?

Menschen, die mit Rassisten nichts zu tun haben, könnten möglicherweise Sympathien für die Pegida-Bewegung entwickeln, wenn sie in sozialen Netzwerken sofort eingeschüchtert werden, sobald sie Erdogan kritisieren. Um dem entgegenzuwirken, müssten sich deutsche Politiker deutlicher gegen Islamisten positionieren; vor allem auch gegen jene, die in Syrien morden und im Irak Kinder vergewaltigen.

Beim Oberlandesgericht Koblenz gibt es einen weiteren Prozess, in dem mutmaßliche Spione Erdogans angeklagt sind. Was hat es mit diesem Verfahren auf sich?

Die Angeklagten sollen Informationen über in Deutschland lebende Kritiker Erdogans gesammelt haben; ihnen wird zum Beispiel angelastet, über Kundgebungen kurdischer Aktivisten berichtet zu haben.

Mittwoch, 9 Uhr, Landgericht Heidelberg, Kurfürsten-Anlage 15