junge Welt, 01.09.2015

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Damaskus unter Feuer

Aufständische beschießen syrische Hauptstadt. Schwierige Verhandlungen über Feuerpausen

Von Karin Leukefeld/Damaskus

Das Zentrum der syrischen Hauptstadt Damaskus wird nahezu täglich von Granaten und Raketen getroffen, die aufständische Kampfgruppen aus den Vororten Dschobar, Duma und Darja abfeuern. Obwohl allein am Sonntag vier Menschen – unter ihnen ein Baby – in mehreren Vierteln der Metropole getötet und nach offiziellen Angaben 22 Personen verletzt wurden, verweigern die Aufständischen Gespräche über einen Waffenstillstand. Die Bevölkerung solle spüren, wie es sei, ständig von der Armee angegriffen zu werden, lautet die Begründung.

Bereits am Freitag waren eine Person getötet und fünf verletzt worden, als Kämpfer aus Dschobar unweit des Abbasiden-Stadions das Feuer eröffneten. Auch in weiter entfernten Orten um Damaskus, wo die Bevölkerung den Aufständischen ihre Gefolgschaft und Unterstützung verweigert, schlugen Geschosse ein. Zudem wurden am Samstag in Al-Sahra, einem belebten Viertel der Provinzhauptstadt Homs, bei der Explosion einer Autobombe fünf Menschen getötet und mindestens 19 verletzt. Die Detonation wurde durch die Fernzündung eines Fahrzeuges ausgelöst, das, mit Sprengstoff beladen und einem gefälschten Nummernschild, vor einer Apotheke abgestellt worden war.

Ein auf Vermittlung der Türkei und des Iran ausgehandelter 48stündiger Waffenstillstand in Sabadani sowie den belagerten Orten Kafarja und Fuah in der Provinz Idlib war am Samstag ohne Erfolg zu Ende gegangen. Weder wurden Verletzte, Kranke oder Alte ausgetauscht, noch erklärten sich die Kämpfer in Sabadani zum Abzug bereit. Die syrische Armee, die in dem Ort von der libanesischen Hisbollah unterstützt wird, nahm den Kampf am Samstag mit schweren Luftangriffen und Artilleriefeuer wieder auf. Als Reaktion darauf nahmen die Nusra-Front und Ahrar Al-Scham erneut Kafarja und Fuah unter Beschuss.

In der Vergangenheit konnten lokale Feuerpausen dort erfolgreich ausgehandelt werden, wo sich lediglich syrische Kräfte gegenüberstanden – Armee und Geheimdienste auf der einen und lokale Rebellengruppen auf der anderen Seite. In der Folge gelang es dann, die Lebensbedingungen der Bevölkerung etwas zu verbessern. Sobald aber ausländische Kampfgruppen involviert sind, gestalten sich die Waffenstillstände fragil. Immer wieder ist es die Nusra-Front, die Vereinbarungen unterläuft. Die »Islamische Front«, die die frühere Satellitenstadt Duma kontrolliert und von Saudi-Arabien geführt wird, lehnt Gespräche mit der syrischen Armee kategorisch ab.

In den vergangenen Tagen besuchten Delegationen von Abgeordneten und Journalisten aus Belgien und den Niederlanden mehrere Städte Syriens. In Damaskus trafen sie unter anderem mit Großmufti Ahmed Hassun sowie Vertretern der regierenden Baath-Partei und des syrischen Parlaments zusammen. Bei den Unterredungen ging es auch um die von der Europäischen Union vor vier Jahren verhängten und mehrfach verschärften wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gegen die Arabische Republik. Besuche von Parlamentariern aus Europa sind nach wie vor eine Seltenheit. Bisher besuchten lediglich Abgeordnete aus Frankreich, Italien und der Schweiz ihre Kollegen in Damaskus. Eine Delegation aus Deutschland steht noch aus. Immerhin hatte im Juni eine Reihe von Abgeordneten des Deutschen Bundestages gemeinsam mit mehr als 2.000 deutschen Kriegsgegnern und Menschenrechtlern Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, sich für ein Ende der EU-Sanktionen gegen Syrien einzusetzen und die diplomatischen Beziehungen mit dem Land wiederherzustellen, um das Aushungern des syrischen Volkes zu beenden.