Neue Zürcher Zeitung, 31.08.2015 http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/xxx-1.18605346 IS rückt in Nordsyrien vor Neue Tempelzerstörung in Palmyra Der IS ist im Kampf gegen die Anti-Asad-Rebellen im Norden Aleppos in die Offensive gegangen. Türken und Amerikaner haben dagegen bisher nichts unternommen. von Jürg Bischoff, Beirut Laut einer Meldung der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte haben Kämpfer des Islamischen Staats (IS) in Palmyra ihr Zerstörungswerk fortgesetzt. In einer gewaltigen Explosion seien Teile des Baal-Tempels aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert zerstört worden. Dies ist nach Einschätzung der Vereinten Nationen auf der Grundlage von Satellitenbildern inzwischen bewiesen. Die Satelliten-Analyse von Unosat bestätige, dass das Hauptgebäude des Tempels zerstört sei, teilte die Uno mit. Schmaler Korridor Die Faszination der Medien für zerstörte Antiken lässt die militärischen Initiativen des IS im Schatten. Letzte Woche stiessen seine Kämpfer an der Westfront des IS im Norden der Provinz Aleppo vor, eroberten fünf Dörfer und kesselten die Stadt Marea ein. Marea liegt im bloss 30 Kilometer breiten Korridor zwischen Aleppo und der türkischen Grenze, den eine Allianz von Anti-Asad-Gruppen noch kontrolliert. Das Gebiet westlich davon, um die Stadt Afrin herum, beherrschen die kurdischen Kämpfer der YPG, die mit der türkisch-kurdischen PKK verbündet sind. Nach Osten steht der IS über etwa 60 Kilometer bis zum Euphrat, jenseits dessen wiederum die Kurden die ganze syrisch-türkische Grenze kontrollieren. Zwischen Afrin und dem Euphrat liegt das Gebiet, aus dem die Amerikaner den IS vertreiben wollen und das die Türken als «Schutzzone» sehen, aus der nicht nur die Jihadisten, sondern auch die Kurden ferngehalten werden sollen. Die zur Kaida gehörende Jabhat al-Nusra wollte aber von einer Allianz mit der Türkei und Amerika nichts wissen und zog sich aus ihren Stellungen nördlich von Aleppo zurück. Einige Beobachter glauben, dass dies auf Verlangen der Amerikaner geschah, die im Kampf gegen die eine Jihadisten-Gruppe nicht einer anderen helfen wollten. Der Abzug der Nusra-Kämpfer schwächte jedoch das Verteidigungsdispositiv der Rebellen gegen den IS, was dieser für seinen Vorstoss nach Marea ausnützte. Ungeklärte Strategie Bisher haben weder Amerikaner noch Türken versucht, die Offensive des IS im Norden Aleppos mit Flugangriffen aufzuhalten. Das bedeutet wohl, dass im Beziehungsdreieck zwischen Washington, Ankara und den syrischen Rebellen noch vieles nicht geklärt ist. Die Rebellen wollen gegen Asad kämpfen, die Türken gegen die Kurden und die Amerikaner gegen die Jihadisten. Daraus eine gemeinsame Strategie zu basteln, ist bisher nicht gelungen, denn jede der drei Seiten fürchtet, dabei den Kürzeren zu ziehen. So wie die Lage jetzt aussieht, sind die Rebellen im Norden Aleppos, die ersten Verlierer dieses Seilziehens. Wenn sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen, könnten die Amerikaner zum Leidwesen Ankaras jederzeit wieder auf die Kurden der YPG setzen, die sich gegen die Jihadisten bestens bewährt haben.
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