Frankfurter Rundschau, 02.09.2015

Türkei Medien

"Ein offener Anschlag auf die Demokratie"

Türkinnen demonstrieren zur Unterstützung liberaler Zeitungen. "Heute ist der Tag, um Millet zu unterstützen". Und: "Die Zeitung Bugün wird nicht still sein, auch wenn andere still sind" steht auf den Plakaten.
Foto: dpa

Von Frank Nordhausen

Der türkische Staatspräsident Erdogan setzt die Unterdrückung der Presse systematisch fort, jetzt wurden in einem großen Medienhaus Razzien durchgeführt.

Am Dienstag schockierte die populäre linkskemalistische Zeitung "Sözcü" ihre Leser mit der Schlagzeile: „Wenn Sözcü still ist, ist die Türkei still“. Die große türkische Tageszeitung erschien mit den Spalten ihrer Kolumnisten auf der Titelseite – doch die Spalten waren leer. Im Leitartikel hieß es, dass die Redaktion genug habe von ständigen Anzeigen des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan wegen „Beleidigung“, die von „willfährigen Gerichten“ bearbeitet würden. Mit den leeren Kommentarspalten wollte die regierungskritische Zeitung auf die Unterdrückung der Pressefreiheit durch Erdogan hinweisen und die Befürchtung äußern, dass es im Vorfeld der zweiten Parlamentswahl des Jahres am 1. November massive Angriffe auf die Oppositionsmedien geben werde.

Es war, als ob die "Sözcü"-Redaktion prophetische Gaben besitze. Denn am selben Tag führten Polizei und Steuerfahndung eine der größten Razzien gegen ein türkisches Medienhaus durch, die es je gegeben hat und beschlagnahmten in rund zwei Dutzend Firmen der Koza-Ipek-Holding in Ankara Akten und Computer. Koza Ipek ist einer der bedeutendsten Mischkonzerne der Türkei, dem neben Minengesellschaften und Banken wichtige Oppositionsmedien wie die Fernsehkanäle Bugün TV und Kanaltürk, die Tageszeitungen "Bugün" und "Millet" gehören. Der Durchsuchungsbeschluss beruft sich auf vorgebliche finanzielle Manipulationen und die Unterstützung der „Fethullah Gülen Terrororganisation“ (FETO) durch die Konzernführung und ihre Medien.

Der Prediger als Erzfeind

FETO ist ein Konstrukt, das Erdogan erfand, nachdem er sich mit seinem früheren Bundesgenossen, dem in den USA lebenden Islamprediger Fethullah Gülen, Ende 2013 überworfen hatte. Erdogan machte damals das Gülen-Netzwerk in der Türkei für die Korruptionsermittlungen gegen seine Regierung verantwortlich, warf ihm einen geplanten Staatstreich vor und betrachtet den Prediger seither als seinen Erzfeind. Bislang konnte der Bewegung jedoch kein einziger Terroranschlag nachgewiesen werden. Doch die Gülen-nahen Medien entwickelten sich infolge der Fehde zu starken oppositionellen Stimmen. Während das staatliche Fernsehen TRT ebenso auf Regierungslinie gebracht wurden wie die meisten privaten Fernsehsender, sind viele Zeitungen des linken und liberalen Spektrums weiterhin unabhängig und dem Präsidenten ein Dorn im Auge.

Auch der Eigentümer der Ipek-Holding, Akin Ipek, ist als Gülen-Anhänger bekannt. Dem derzeit im Ausland weilenden Unternehmer wird die Verschiebung von rund sieben Millionen Dollar auf ausländische Konten vorgeworfen – was prinzipiell legal ist. Außerdem soll Ipek der Gülen-Bewegung Geld gespendet haben – ebenfalls kein Tatbestand, der vor unabhängigen Gerichten Bestand haben dürfte. Seine Medienhäuser waren zwar von der Polizeioperation ausgenommen, doch verstanden kritische Kommentatoren und Politiker sie als deren eigentliches Ziel. Tatsächlich versuchte Erdogan bereits in den vergangenen drei Wahlkämpfen, kritische Medien zu ängstigen und ließ soziale Internetmedien wie Twitter zeitweise sperren. Mit Hunderten von Beleidigungsklagen überzieht er kritische Journalisten. Dutzende Journalisten müssen sich vor Gerichten verantworten.

Hunderte Beleidigungsklagen

Es war ein bezeichnender Zufall, dass nicht nur "Sözcü" am Dienstag mit einer zensurrelevanten Titelseite aufmachte, sondern auch die im Durchsuchungsbeschluss genannte Zeitung "Bugün" des Ipek-Konzerns. Das Blatt druckte Fotos, die einen Transport von Waffen über den türkischen Grenzübergang Akcakale an die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vor einigen Monaten belegen sollen. Wegen der Veröffentlichung ähnlicher Bilder von einem Waffentransport des türkischen Geheimdienstes nach Syrien im Jahr 2014 muss sich Can Dündar, Chef der linkskemalistischen "Cumhuriyet", derzeit vor Gericht verantworten und wird mit lebenslanger Haft bedroht; der Vorwurf: Spionage.

Die Razzia bei der Ipek-Holding nannte "Cumyhuriyet" am Mittwoch „einen offenen Anschlag auf die Demokratie, die Pressefreiheit und das Recht der Menschen auf Information“. Oppositionspolitiker und Presseverbände in der Türkei verurteilten das Vorgehen. „Wir können nicht von Demokratie in einem Land sprechen, in dem die Medien zum Schweigen gebracht werden“, sagte Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP. Viele Oppositionsblätter wiesen darauf hin, dass die neue Repressionswelle von dem berühmt-berüchtigten türkischen Whistleblower Fuat Avni auf Twitter vorhergesagt worden war. Ihm zufolge plant Erdogan Maßnahmen gegen sämtliche noch verbliebenen Oppositionsmedien, auch gegen das Flaggschiff des türkischen Journalismus, die liberalkonservative Zeitung Hürriyet.

Während die Razzien auf einheimische Medien zielen, soll ein anderer Vorgang wohl eine Warnung für die internationale Presse sein, nicht von den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in den Kurdengebieten der Türkei zu berichten. Bereits am Wochenende wurden in der südostanatolischen Kurdenmetropole Diyarbakir die beiden britischen Journalisten Jake Hanrahan und Philip Pendlebury sowie ihr irakischer Übersetzer Mohammed Rasul festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Reportern des US-Fernsehkanals Vice News Terrorpropaganda vor, und zwar sowohl für den IS wie deren Todfeind, die Kurdenguerilla PKK. Amnesty International nannte die Vorwürfe gegen die Journalisten „unbegründet, unerhört und bizarr“. Die internationalen Journalistenverbände Reporter ohne Grenzen und Komitee zum Schutz von Journalisten forderten die unverzügliche Freilassung der Reporter, ebenso wie das US-Außenministerium.
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