welt.de, 08.09.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article146171139/Wladimir-Putins-raetselhafte-Offensive-in-Syrien.html

Krieg gegen IS

Wladimir Putins rätselhafte Offensive in Syrien

Russland wird seine militärische Unterstützung Syriens erheblich intensivieren. Warum, ist unklar: Will Putin mehr Einfluss auf den Bürgerkrieg und die USA schwächen - oder sich dem Westen nähern? Von Gil Yaron, Oliver Bilger, Alfred Hackensberger

In den USA wächst die Sorge über das zunehmende militärische Engagement Russlands im syrischen Bürgerkrieg (Link: http://www.welt.de/themen/syrien-konflikt/) . Im August tauchten in Nachrichtenberichten aus Syrien erstmals völlig neue russische Schützenpanzer vom Typ BTR-82A mit russischen Kennzeichnungen auf. Auf Videos, deren Authentizität nicht unabhängig bestätigt werden konnte, wurden den Panzerführern Befehle auf Russisch erteilt.

Später kamen Meldungen von sechs Mig-31 Kampfflugzeugen, die auf einem Militärflughafen in der Nähe von Damaskus gesichtet worden sein sollen. Im Gegensatz zu den Maschinen der syrischen Luftwaffe verfügt die Mig-31 über eine hohe Treffgenauigkeit. Sie könnte den Frontverlauf schnell zugunsten des Regimes ändern.

Zu diesen Berichten kommen nun auch geheimdienstliche Informationen. Satellitenaufnahmen hätten gezeigt, dass eine russische Vorhut auf dem internationalen Flughafen der Küstenstadt Latakia Fertigbauten aufgestellt habe. Diese böten im Ernstfall Platz für mindestens 1000 Soldaten. Zudem habe Moskau vor Ort eine mobile Flugleitzentrale stationiert.

Nun heißt es aus Washington, Moskau bitte in Staaten auf dem Weg nach Syrien neuerdings immer öfter um Überflugrechte für Militärmaschinen. Es gebe jedoch keine Informationen, was oder wer sich in den Flugzeugen befinde. Griechenland teilte am Montag mit, die USA hätten Athen gebeten, Moskau die Überflugrechte zu verweigern. Auch syrische Menschenrechtsorganisationen berichten von einem Zuwachs russischer Rüstungslieferungen.

Will Putin seinen Vasallen Assad stärken?

Diese Entwicklungen sorgen Washington so sehr, dass US-Außenminister John Kerry seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow am Wochenende telefonisch eine scharfe Warnung übermittelte: Eine Verstärkung der Militärhilfe für Syriens Präsident Baschar al-Assad könne zu einer "Konfrontation" mit der von den USA geführten Koalition führen, die derzeit in Syrien einen Krieg gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) führt.

Zudem machte "der Außenminister deutlich, dass – falls die Berichte stimmen – Russlands Handlungen den Konflikt weiter eskalieren lassen, zu dem Verlust weiterer unschuldiger Menschenleben führen und die Flüchtlingsströme verstärken könnten", hieß es aus dem State Department. Dabei ist noch völlig unklar, welche Ziele Russlands Präsident Wladimir Putin mit dem Engagement in Syrien eigentlich verfolgt.

Will Putin durch eine stärkere Militärpräsenz Amerikas Einfluss in der Region schwächen und seinen Vasallen Assad (Link: http://www.welt.de/themen/baschar-al-assad/) stärken? Das befürchten zumindest amerikanische Diplomaten, die meinen, russische Kampfflugzeuge könnten nicht nur den IS bekämpfen, sondern auch die wenigen, handverlesenen moderaten Rebellen bombardieren, mit deren Hilfe die USA zuerst den IS und später vielleicht auch Assad bekämpfen wollen. Den will Putin jedoch vorerst weiter im Amt sehen – ganz im Gegensatz zu Kerry, der Assads Rücktritt zu einer Voraussetzung für einen politischen Versöhnungsprozess in Syrien gemacht hat.

Putin bleibt einer von Assads wichtigsten Partnern. Moskau unterstützte das Regime in Damaskus schon im Kalten Krieg mit Waffen und Geld, mit Geheimdienstinformationen und bei der Ausbildung von Soldaten. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums bekräftigt nun, Russland habe "nie einen Hehl" daraus gemacht, dass Moskau im Kampf gegen den Terror aufseiten von Damaskus stehe. "Russland hat Syrien als UN-Mitglied Hilfe im Kampf gegen die Terrorgefahr geleistet und wird das auch weiter tun. Wir handeln dabei voll und ganz in Übereinstimmung mit den Völkerrechtsnormen."

Russische Experten sprachen denn auch von einer völlig anderen Absicht Putins. Ende des Monats könne er die Schlagkraft seiner Truppen in Syrien im Kampf gegen den IS in die Waagschale werfen, um sich so dem Westen feilzubieten. Schließlich hatte Putin am Wochenende gesagt, er strebe die "Bildung einer internationalen Koalition im Kampf gegen Terror und Extremismus" an. Von einer vollwertigen Partnerschaft im US-Bündnis gegen den IS würde Moskau gleich in mehrerer Hinsicht profitieren: Russland könnte wieder größeren Einfluss auf die politische Zukunft Syriens nehmen und gleichzeitig eine Erleichterung der Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise und eine Normalisierung in den Beziehungen mit der EU fordern.

Assad wünscht sich einen russischen Kampfeinsatz

Von einer direkten Intervention in Syrien will Putin zumindest vorerst nicht sprechen – er erklärte nur, alle Optionen würden erwogen. Dabei wünscht Assad sich einen russischen Kampfeinsatz mindestens seit März, als er entsprechende Gerüchte offiziell begrüßte. Inzwischen ist seine militärische Lage so schlecht wie nie. Am Wochenende verlor das syrische Regime sein letztes großes Ölfeld. Der IS eroberte nordwestlich der Ruinenstadt Palmyra die Erdölquellen von Dschasal.

Die Niederlage der syrischen Truppen ist symptomatisch für die vergangenen Monate. Im Mai eroberte die "Armee der Eroberer" unter der Führung des Al-Qaida-Ablegers Nusra-Front die Stadt Idlib. Die Rebellen marschieren weiter vor auf Latakia, eine der Hauptbasen des Regimes. In Damaskus kamen die IS-Extremisten dem Stadtzentrum näher als je zuvor. Und aus dem Süden des Landes melden Verbände der Freien Syrischen Armee (FSA) Erfolge. In Dara, unweit der jordanischen Grenze, droht Assad den letzten Stützpunkt zu verlieren.

Das Regime steht mit dem Rücken zur Wand. Es fehlt an Soldaten, wie Assad im Juli öffentlich zugab. "Für die Armee ist alles vorhanden, nur nicht genug Personalreserven", sagte der syrische Präsident in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede. Deshalb müsse sich die Armee aus bestimmten Gebieten zurückziehen. "Aber wir leisten weiter Widerstand", versicherte der Herrscher. "Die Streitkräfte können das Vaterland verteidigen." Aber das sind die üblichen Propagandasprüche und Durchhalteparolen. Die syrische Armee ist seit mehr als zwei Jahren nicht mehr fähig, das "Vaterland" zu verteidigen.

Ohne die Unterstützung des Iran (Link: http://www.welt.de/themen/iran-politik/) wäre das Assad-Regime längst wie ein Kartenhaus zusammengestürzt. Die Islamische Republik restrukturierte die Armee, trainierte die nationalen Verteidigungskräfte, beorderte schiitische Milizen aus Afghanistan, dem Irak und die libanesische Hisbollah nach Syrien. Heute werden die syrischen Streitkräfte von Hunderten von iranischen Militärberatern dirigiert. Der Oberbefehl liegt bei Kassem Soleimani, dem Chef der Al-Kuds-Spezialeinheit der iranischen Revolutionären Garden. Die wichtigsten Fronten in Syrien haben Generäle aus dem Iran übernommen.

Russische Truppen in Syrien unwahrscheinlich

Nach den großen militärischen Erfolgen von 2014 reiht sich dieses Jahr jedoch ein Rückschlag an den anderen. Der Iran kann nicht erneut in die Bresche springen – er hat seine Belastungsgrenze erreicht. "Die Welt wird überrascht sein, was wir und die syrische Militärführung vorbereiten", hatte Soleimani im Juni behauptet und eine "Überraschung" angekündigt. Bisher war davon nichts zu spüren. Vielleicht meinte der iranische Oberkommandeur den neuen, verstärkten Einsatz Russlands (Link: http://www.welt.de/themen/russland-politik/) .

Eine Truppenentsendung halten die meisten Experten dennoch weiterhin für unwahrscheinlich und verweisen auf die Erfahrungen der verlustreichen Intervention der Sowjetunion in Afghanistan. In der Bevölkerung gebe es Vorbehalte, russische Truppen in einen Krieg für Ideale zu schicken, die ihnen selbst fremd seien, so der Nahost-Experte Nikolai Koschanow vom US-Thinktank Carnegie Center in Moskau.

Und die Aufnahmen von russischen Soldaten in Syrien? Die gehören nach Ansicht russischer Beobachter möglicherweise zum Personal, das für den Betrieb und die Instandhaltung von geliefertem Kriegsgerät verantwortlich ist und syrische Soldaten einweist. Und deren Präsenz, so ein Artikel in der "Prawda", sei "kein Geheimnis" und sollte niemanden überraschen.