spiegel.de, 09.09.2015

http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-hdp-chef-haelt-neuwahlen-fuer-unmoeglich-a-1052072.html

Ausschreitungen in der Türkei:

Oberster Kurdenpolitiker wirft Regierung Kriegstreiberei vor

Die Sicherheitslage in der Türkei spitzt sich zu. In der Nacht brannte die Zentrale der Kurdenpartei HDP, auch in anderen Städten gab es Krawalle. HDP-Chef Demirtas macht dafür die Regierung verantwortlich, Neuwahlen seien so unmöglich.

Der Chef der legalen Kurdenpartei HDP nennt Neuwahlen in der Türkei angesichts der angespannten Situation "unmöglich". In einer Rede in der südöstlichen Stadt Diyarbakir warf Selahattin Demirtas der Staatsführung in Ankara Kriegstreiberei vor.

In der Nacht hatten Nationalisten in mehreren Städten der Türkei gegen die jüngsten Gewaltaktionen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) demonstriert und dabei kurdische Geschäfte und HDP-Vertretungen angegriffen. Die HDP-Zentrale in Ankara ging in Flammen auf.

Demirtas warf den Behörden vor, die Einrichtungen seiner Partei nicht gegen den Mob geschützt zu haben. An die Gewalttäter gewandt fügte er hinzu, seine Partei verfüge über genügend Aufnahmen von Überwachungskameras und andere Beweismittel und werde rechtlich gegen sie vorgehen.

Präsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hätten "eine Entscheidung für den Bürgerkrieg gefällt", sagte Demirtas in der von mehreren Internetmedien live übertragenen Stellungnahme. Er sprach von Lynchversuchen, die mit staatlicher Hilfe und Unterstützung der Regierung gestartet worden seien.

Demirtas warf Erdogan und Davutoglu vor, bei der bevorstehenden Parlamentsneuwahl am 1. November mit allen Mitteln einen Sieg der bisherigen Regierungspartei AKP erzwingen zu wollen. Die AKP hatte bei der regulären Wahl im Juni ihre absolute Mehrheit der Sitze im Parlament nach mehr als zwölf Jahren Alleinregierung verloren.

Europarat sieht Demokratie in Türkei bedroht

Der Europarat zeigte sich besorgt über die Eskalation des Kurdenkonflikts in dem Land. Generalsekretär Thorbjörn Jagland verurteilte die Attacken auf türkische Sicherheitskräfte. Er sei alarmiert über "die Angriffe auf politische Parteien und Medien, die die Demokratie zu destabilisieren drohen", sagte er. Er rief Regierung und Behörden auf, "alles zu tun, um die Bürger und das demokratische Leben im Land zu schützen".

Bei Anschlägen von Rebellen der PKK waren seit Sonntag etwa 30 Soldaten und Polizisten getötet worden. Die Regierung bombardierte Stellungen der Aufständischen im Nordirak.

kry/Reuters/AFP