junge Welt, 09.09.2015

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Türkei marschiert im Irak ein

Ankara führt Krieg gegen die Kurden. Cizre weiter belagert, HDP-Büros attackiert

Von Nick Brauns

Die türkische Luftwaffe hat in der Nacht zum Dienstag einen erneuten Großangriff auf das Hauptquartier der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den nordirakischen Kandil-Bergen geflogen. An dem sechsstündigen Bombardement, bei dem nach Angaben der amtlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu 40 Guerillakämpfer getötet wurden, waren rund 50 Kampfflugzeuge beteiligt. Die PKK bestätigte zwar die Attacken, machte aber bislang keine Angaben zu möglichen Verlusten. Zuvor hatte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu angekündigt, die PKK solle »ausgelöscht« werden. Am Dienstag marschierten türkische Bodentruppen im Nordirak ein, wo die PKK Stützpunkte unterhält.

Am Sonntag abend hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Wahlerfolg der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) am 7. Juni für die Gewalt verantwortlich gemacht. Deren Sprung über die in der Türkei geltende Zehn-Prozent-Hürde hatte Erdogans AKP die absolute Mehrheit der Mandate gekostet. Rassistische Lynchmobs attackierten kurz nach den Äußerungen des Staatschefs in zahlreichen Städten Büros der HDP. Die Partei gab die Zahl der seit Sonntag angegriffenen Einrichtungen mit 126 an. Geschäfte und Autos von Kurden gingen unter anderem in Mersin und Konya in Flammen auf, mehrere Menschen wurden durch Schusswaffen verletzt.

In der seit Ende letzter Woche von der Armee belagerten kurdischen Stadt Cizre im Südosten der Türkei wurden nach Angaben der kurdischen Agentur Firat erneut mehrere Kinder von Scharfschützen der Armee verletzt, eines sei getötet worden. Verwundete können aufgrund der seit fünf Tagen bestehenden Ausgangssperre nicht in Krankenhäuser gebracht werden. Der HDP-Abgeordnete Faysal Sariyildiz berichtete, dass die türkische Armee ein Wohnviertel mit schweren Waffen beschieße. Immer wieder seien Explosionen zu hören. Aus gepanzerten Fahrzeugen rufe die Polizei die Bevölkerung auf, sich zu ergeben.