Neue Zürcher Zeitung, 13.09.2015

http://www.nzz.ch/international/europa/ausgangssperre-in-kurdischer-metropole-diyarbakir-1.18612635

Konflikt in der Türkei

Ausgangssperre in kurdischer Metropole Diyarbakir

Kurzzeitig haben die Behörden die Blockade über die Grenzstadt Cizre aufgehoben. Ein Kurswechsel der Regierung ist nicht zu erwarten. Das zeigte der AKP-Parteitag.

von Inga Rogg, Istanbul

Nach mehr als einer Woche haben die türkischen Behörden die Blockade über die kurdische Grenzstadt Cizre wieder aufgehoben. Eine Entspannung in dem Konflikt zwischen der Regierung und den Kurden brachte die Massnahme nicht. Durch einen Autobombenanschlag wurden in der Nähe von Cizre am Sonntag zwei Polizisten getötet. Nahe der kurdischen Metropole Diyarbakir wurde ein weiterer Polizist durch einen Angriff mit einer Panzerfaust getötet. Beide Anschläge gehen nach offiziellen Angaben auf das Konto der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

Weltkulturerbe abgeriegelt

Die Aufhebung der Abriegelung von Cizre dauerte freilich keine 48 Stunden. Am Sonntagabend verhängte der Gouverneur erneut eine Ausgangssperre. Zuvor hatte bereits sein Amtskollege in Diyarbakir über den zentralen Bezirk Sur in der heimlichen Hauptstadt der türkischen Kurden eine unbefristete Ausgangssperre verhängt. In Sur liegt die historische Altstadt von Diyarbakir mit der berühmten Ringmauer und anderen bedeutenden Bauwerken, die kürzlich von der Unesco auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt wurden. Sur ist aber auch eine Hochburg des kurdischen Widerstands gegen den türkischen Staat. Seit Wochen kommt es in dem Bezirk zu Zusammenstössen zwischen militanten Jugendlichen und Sicherheitskräften. Die Regierung hat die Spannungen noch verstärkt, indem sie gewählte Vertreter der Kurden festnehmen liess, unter ihnen den populären ehemaligen Bürgermeister Abdullah Demirbas. Er sass schon einmal mehrere Jahre im Gefängnis, weil er sich für den Gebrauch der kurdischen Sprache starkgemacht hatte.

Nach Verhängung der Ausgangssperre kam es in Sur erneut zu Zusammenstössen. Lokaljournalisten berichteten, die Polizei habe nicht nur Tränengas eingesetzt, sondern auch mit scharfer Munition geschossen. Ein ausländischer Journalist soll festgenommen worden sein. Kürzlich hatte die Regierung zwei britische Journalisten und eine holländische Journalistin, die seit Jahren aus Diyarbakir berichtet hatte, wegen angeblicher Propaganda für eine Terrororganisation des Landes verwiesen. Ein kurdischer Mitarbeiter der beiden Briten befindet sich weiterhin in Haft.

AKP bleibt Erdogan treu

Wie in Cizre verwehrten die Sicherheitskräfte auch in Sur kurdischen Politikern den Zutritt. Selahattin Demirtas, der Co-Vorsitzende der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) und frühere Vorsitzende des Menschenrechtsvereins von Diyarbakir, trat in der Nähe des Bezirks auf. Dabei forderte er von der PKK und der Regierung, auf das Volk zu hören und die Friedensverhandlungen wiederaufzunehmen.

Ein Kurswechsel der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die im Juni ihre Regierungsmehrheit verlor und bis zu den Neuwahlen am 1. November interimistisch regiert, ist nicht in Sicht. Erstmals seit der Wahl von Recep Tayyip Erdogan zum Präsidenten hielt die AKP am Samstag einen regulären Parteitag ab. Dabei bestätigten die Delegierten Ahmet Davutoglu, den Erdogan voriges Jahr zu seinem Nachfolger erkoren hatte, im Amt. Davutoglu versprach einen Neuanfang in der Partei. Der dürfte aber ausbleiben. Damit dürfte sich nichts an der harten Haltung im Konflikt mit den Kurden ändern, der in den letzten Wochen unter den Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung schon mehr als 150 Tote gefordert hat.