junge Welt, 15.09.2015

http://www.jungewelt.de/2015/09-15/047.php

Repression gegen Kurden

Türkei: Ausgangssperren über Städte verhängt. Bürgermeisterin von Cizre abgesetzt. Razzia in Redaktion

Von Nick Brauns

Armee und Polizei gehen weiterhin in mehrheitlich kurdisch bewohnten Gebieten der Türkei gegen mutmaßliche Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor. Ausgangssperren gelten seit dem Wochenende im Altstadtviertel Sur der Metropole Diyarbakir sowie in der nahegelegenen Kreisstadt Silvan. Trotz Ausgangssperre und Scharfschützen gingen die Einwohner auf die Straße, berichtet die Nachrichtenagentur Firat News.

Eine einwöchige Ausgangssperre über die 120.000-Einwohner-Stadt Cizre im türkisch-syrisch-irakischen Grenzgebiet, die bereits am Wochenende vorübergehend aufgehoben worden war, endete am Montag morgen. Nach Regierungsangaben wurden 30 PKK-Mitglieder in der Stadt getötet. Dagegen meldete die demokratische Partei der Völker (HDP), dass während der Ausgangssperre mindestens 22 Zivilisten – darunter Kinder und Greise – infolge von Armee- und Polizeiangriffen ums Leben kamen. Die Toten wurden am Sonntag unter Beteiligung Zehntausender Menschen beigesetzt.

Auf Weisung der Regierung wurde die 28jährige Bürgermeisterin von Cizre, Leyla Imret, ihres Postens enthoben. Die Bürgermeisterin habe Propaganda für die PKK betrieben, lautete der Vorwurf. Cizre gehört ebenso wie Diyarbakir-Sur und Silvan zu den Kommunen, die sich angesichts des Krieges gegen die Kurden für »autonom« erklärt hatten. Der HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas rief am Sonntag in Diyarbakir sowohl die PKK-Führung als auch die Regierung dazu auf, den Ruf der Bevölkerung nach Frieden zu respektieren und zu einem Dialog zurückzukehren.

Unterdessen hat die türkische Polizei in der Nacht zu Montag die Redaktionsräume der Zeitschrift Nokta in Istanbul wegen des Vorwurfs der Beleidigung des Präsidenten und der Propaganda für eine Terrororganisation durchsucht und die Auslieferung des Magazins untersagt. Anlass sei das Titelbild, auf dem Recep Tayyip Erdogan abgebildet ist, wie er vor dem Sarg eines toten türkischen Soldaten grinsend ein Bild von sich schießt, teilte laut Nachrichtenagentur AFP die Redaktion mit.