junge Welt, 21.09.2015

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Kämpfe und Diplomatie

Keine Waffenruhe in Syrien in Sicht. Washington und Moskau beraten unterdessen weiteres Vorgehen in dem arabischen Land

Von Karin Leukefeld

Am frühen Sonntag morgen wurden in Aleppo 14 Zivilisten, darunter sieben Kinder, durch Raketenbeschuss der sogenannten moderaten Rebellen getötet. Erst vor wenigen Tagen waren 19 Kinder bei Granaten- und Raketenangriffen der bewaffneten Gruppen in Aleppo getötet worden. Sechs von ihnen hielten sich zu dem Zeitpunkt in einem Kindergarten auf, der von UNICEF unterstützt wird. Die UN-Kinderhilfsorganisation hat in Syrien »kinderfreundliche Orte« eingerichtet, um Kindern eine Auszeit vom Krieg zu ermöglichen. Genau ein solcher Ort war von den Kampfverbänden in Aleppo angegriffen worden. Insgesamt starben dabei 38 Personen. Bei einem Gegenangriff der syrischen Luftwaffe am Tag darauf gab es 53 Todesopfer. Kinder dürften »niemals Ziel von Angriffen sein«, erklärte die UNICEF-Vertreterin in Syrien, Hannah Singer. Der »verwerfliche Angriff« auf den UNICEF-Kindergarten zeige, in welcher Gefahr sich die syrischen Kinder befänden.

Nach Angaben des russischen Nachrichtensenders Russia Today (RT) sollen Kämpfer der Nusra-Front in Idlib den syrischen Militärflughafen Abu Al-Duhur eingenommen und mehr als 50 dort stationierte syrische Soldaten hingerichtet haben. RT bezog sich auf Videomaterial, das von der Nusra-Front im Internet verbreitet worden war. Von seiten der syrischen Streitkräfte wurde die Meldung nicht kommentiert.

US-Außenminister John Kerry erklärte derweil, Russland und die USA hätten zur Lage in Syrien einen »militärischen Dialog« begonnen. US-Verteidigungsminister Ashton Carter und sein russischer Amtskollege Sergej Schojgu hatten zuvor lange telefonisch über die neue Annäherung debattiert. Pentagon-Sprecher Peter Cook sagte, die beiden Minister hätten ein »konstruktives Gespräch« über die Notwendigkeit geführt, mögliche Spannungen durch »den russischen Aufmarsch (in Syrien, jW) durch den Kampf gegen den Islamischen Staat zu deeskalieren«. Gleichzeitig sollten »diplomatische Gespräche über einen politischen Übergang« in Syrien fortgesetzt werden. Kerry traf am Sonntag nachmittag in Berlin mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zusammen.

Der US-Sender National Public Radio (NPR) berichtete am Wochenende unter Berufung auf das Pentagon, dass Russland vier Suchoi-Kampfjets auf einen Militärstützpunkt bei der nordsyrischen Hafenstadt Latakia verlegt haben soll. Außerdem seien vier Kampfhubschrauber und vier Transportflugzeuge dort gelandet.

Moskau fährt mehrgleisig, um Regierung und Armee in Syrien zu stabilisieren. Seit Wochen flankiert Russland mit intensiven diplomatischen Aktivitäten die Bemühungen des UN-Sondervermittlers für Syrien, Staffan de Mistura, für eine Verhandlungslösung auf Basis der Genfer Vereinbarung vom Juni 2012. Gleichzeitig wird die syrische Armee als »einzige effektive Antiterrorkraft in Syrien« militärisch deutlich gestärkt, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow bestätigte.

In Zusammenarbeit mit Iran werden von Russland aktuell die Positionen der Regierungsarmee im Nordwesten Syriens gefestigt, was auch als klares Signal gegen Pläne der Türkei oder der NATO für die Einrichtung von »Flugverbotszonen« verstanden werden müsse, heißt es in der libanesischen Tageszeitung As-Safir. Russland hatte – nachdem Bulgarien auf Anweisung der USA seinen Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt hatte – militärischen und humanitären Nachschub für Syrien durch den iranischen Luftraum eingeflogen. Die russische Luftbrücke nach Syrien soll noch bis Ende September aufrechterhalten werden.

Der bereits erwähnte Luftwaffenstützpunkt südlich von Latakia, der in den letzten Wochen wieder instandgesetzt und mit zwei neuen Startbahnen versehen worden sei, könnte As-Safir zufolge zur Basis für mögliche russische Luftangriffe auf Stellungen von Al-Qaida-Gruppen in Syrien werden. Möglich sei auch, dass Russland weitere Militärexperten und speziell ausgebildete Eliteeinheiten nach Syrien verlegt. Syrischen Quellen zufolge sollen syrische Eliteeinheiten bereits von russischen Ausbildern geschult werden.

Nach Einschätzung von As-Safir könnte die militärische Lage in Syrien zunächst weiter eskalieren. »Politische Lösungen jeglicher Art werden ausgesetzt, bis die notwendige Machtbalance wiederhergestellt ist, um den russisch-syrischen Plan für eine politische Lösung umzusetzen«, heißt es. Dieser Plan strebt die nationale Versöhnung in dem arabischen Land an, die zu einer Regierung der nationalen Einheit unter Einbeziehung der innersyrischen Opposition führen soll. Die Rolle des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad wird von Russland dabei deutlich hervorgehoben, wie auch das ausführliche Interview russischer Medien mit ihm in Damaskus vor wenigen Tagen zeigte. Gefragt, ob er bereit sei, sich auch mit denjenigen wieder zu treffen, die ihn jahrelang dämonisiert hätten, sagte Assad, wenn es dem Staat Syrien und den Syrern nutze, werde er jedem die Hand schütteln.

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Syrien: Streitkräfte im Visier

General Samir Suliman, Sprecher des syrischen Verteidigungsministeriums in Damaskus, äußerte sich im Gespräch mit jW:

… zur Lage in Sabadani:

»Die strategische Lage von Sabadani ist wichtig für die Sicherheit von Damaskus. Es ist die größte Stadt westlich von Damaskus, und sie ist mit Dörfern und Städten im Libanon verbunden. Über Sabadani läuft der Nachschub der (islamistischen; jW) Kämpfer um Damaskus. Sabadani ist auch von strategischer Bedeutung für die Verbindung von Damaskus zum Widerstand im Libanon (Hisbollah). Sabadani verbindet das Kalamun-Gebirge mit Kuneitra auf den Golanhöhen, mit Jordanien und Israel. Es verbindet den Westen und den Norden Syriens.«

… zu Interessen Israels:

»Auf den Golanhöhen nutzt Israel die Nusra-Front, um gegen die Hisbollah und gegen die syrische Armee zu kämpfen. Das eigentliche Interesse Israels an der Nusra-Front und allen anderen Kampfgruppen ist, dass sie gegen die syrische Armee kämpfen. Hinter Israel stehen der Westen und die USA. Sie wollen die syrische Armee zerstören. So wie sie (…) die irakische Armee bereits zerstört haben.«

… zur möglichen Kooperation mit der US-geführten Anti-IS-Koalition:

»Der Westen – die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien – betrachtet die syrische Führung als Regime und illegal. Werden sie diese Meinung ändern, wenn sie mit Syrien kooperieren wollen? (…) Sie sagen, sie kämpfen gegen den Terror, aber wie kann es sein, dass sie bei der Türkei einfach wegsehen? Die Türkei ist ein Mitglied der NATO, und gleichzeitig hat die Türkei es dem IS ermöglicht, seinen eigenen Staat aufzubauen. (…) Es wäre sehr naiv zu glauben, dass Amerika den Terror bekämpfen will. Wie kann es sein, dass amerikanische Kampfjets ›irrtümlicherweise‹ Waffen und Munition über den Gebieten von IS abwerfen? Einige Medien haben das dokumentiert.« (kl)