Frankfurter Rundschau, 30.09.2015

Russischer Angriff tötet viele Zivilisten

Von Stefan Scholl

Russland greift in den Syrien-Konflikt ein. Bei Angriffen der Luftwaffe nördlich der Stadt Homs sterben nach Angaben lokaler Menschenrechtler 27 Menschen. Die Welt rätselt über die militärischen und politischen Ziele Russlands.

Russische Jagdbomber haben in den Syrienkonflikt eingegriffen. Wie ein US-Regierungsvertreter dem Sender CNN sagte, attackierte die russische Luftwaffe Ziele nördlich der Stadt Homs. Nach Angaben des syrischen Menschenrechtsportal SOHR kamen dabei mindestens 27 Zivilisten, darunter sechs Kinder, ums Leben.

Nur wenige Stunden zuvor hatte der russische Föderationsrat Präsident Wladimir Putin einstimmig einen Militäreinsatz genehmigt. Die Operation solle nur in Syrien stattfinden, sagte Sergej Iwanow, der Chef der Präsidialverwaltung, der Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Syriens Staatschef Baschar al-Assad habe sich mit der Bitte um Militärhilfe an den Kreml gewandt. „Es handelt sich ausschließlich um einen Einsatz der Luftwaffe, die Verwendung von Bodentruppen kommt nicht infrage.“

Der Geheimdienstveteran Sergej Gontscharow erklärte RIA Nowosti, die russischen Piloten würden genauer und machtvoller zuschlagen als Amerikaner oder Franzosen, die vor allem Hochzeiten oder Beerdigungen bombardiert hätten. Die hohe Zahl der zivilen Opfer straft ihn offenbar Lügen.

Zunächst war unklar, wen die Russen mit ihren Luftangriffen treffen wollten. Gebiete nördlich von Homs wurden bis vor kurzem von sunnitischen Kämpfern der Rebellenkoalition „Dschaisch Al Hor“ kontrolliert, die gegen Assad und den terroristischen „Islamischen Staat“ (IS) kämpfen.

In Homs selbst, wo laut SOHR in mehreren Vierteln ebenfalls russische Raketen einschlugen, sollen vielleicht sogar noch Assads Einheiten stehen. Irrtümliches Feuer der russischen Kampfjets auf ihre eigenen Verbündeten ist nicht auszuschließen.

Am Montag hatte Wladimir Putin in einer Rede vor der UN-Vollversammlung in New York zur Bildung einer breiten Koalition aufgerufen, um das Regime Assads in Syrien im Kampf gegen den IS zu unterstützen. Es ist noch unklar, ob IS-Kämpfer von den russischen Luftangriffen betroffen wurden. Auch herrscht noch Ungewissheit, welche der Konfliktparteien in dem Bürgerkriegschaos Russlands Bomber künftig attackieren werden.

Sollten die Russen IS-Kämpfer bombardieren, würden sie damit die etwa 100.000 Rebellen der Koalition „Dschaisch Al Hor“ begünstigen. Die bekämpfen einerseits den IS, bedrängen andererseits Assads Streitkräfte heftig. „Also greifen die Russen Dschaisch Al Hor an“, sagt der Moskauer Nahostexperte Ochran Dschemal der FR. „Und geraten in Konflikt mit den USA.“ Laut Reuters informierten russische Militärs US-Kollegen eine Stunde vor Beginn der Angriffe.

Ebenfalls herrscht Rätselraten, in welchem Maßstab das russische Militär intervenieren wird. In den vergangenen Wochen häuften sich Meldungen über das Auftauchen von knapp 30 russischen Kampffliegern sowie von Schützenpanzern und Marineinfanteristen in Syrien. Der Kreml dementierte, noch am Montag versicherte Wladimir Putin, man denke noch nach, wie Russland Assad gegen den IS unterstützen könne.

So ist nicht auszuschließen, dass auch in Syrien russische Freiwillige und Einheiten mit oder ohne Erkennungszeichen mit Assads Truppen Front machen. Die Zeitung „Kommersant“ berichtete von mindestens zwölf russischen Freischärlern mit Kriegserfahrung, die im Irak auf ihren Weitertransport nach Syrien warten. Das Nachrichtenportal gaseta.ru interviewte in Nowosibirsk russische Berufssoldaten mit Marschbefehl nach Syrien. Sie sagten, ihre Kameraden seien dort seit vier Monaten im Einsatz.

„Wer garantiert, dass Russland nicht in einen ausgewachsenen Krieg hineingerät?“, schreibt Dmitri Gudkow, der letzte oppositionelle Duma-Abgeordnete auf Facebook. Nach Putins Aussagen zur Ukraine sei seine Versicherung, er werde in Syrien nur die Luftwaffe einsetzen, mit Vorsicht zu genießen, sagt der Politologe Stanislaw Belkowski. Andere Beobachter befürchten, Putin könne auch sehr irrationale Entscheidungen fällen – je nachdem, wie die Reaktion des Westens ausfällt. „Einmal begonnene Kriege entwickeln ihre eigene Dynamik“, sagt der deutsche Konfliktsoziologe und Afghanistanexperte Jan Köhler.


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