Der Tagesspiegel, 01.10.2015

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Krieg in Syrien

Wer Frieden will, muss mit Assad reden

Von Thomas Seibert

Im syrischen Bürgerkrieg sind bislang mindestens 220.000 Menschen gestorben. Ohne Gespräche mit dem Regime wird es keinen Frieden geben. Ein Kommentar

Darf man mit einem Diktator wie Baschar al-Assad reden? Einem Mann, der Krieg gegen sein eigenes Volk führt? Natürlich darf man, man sollte sogar.

Assad in eine Lösung für Syrien einzubinden, liegt im Interesse des Westens und ist eine realpolitische Notwendigkeit, nicht nur wegen des verstärkten Engagements Russlands. Der Hinweis auf die Menschenrechtsverletzungen durch das Assad-Regime geht an der Sache vorbei: Außerhalb von Syrien lässt sich die westliche Nahost-Politik jedenfalls nicht von Gewissensbissen leiten. Beispiel Saudi-Arabien. Das Königreich sperrt Blogger ein, unterdrückt Frauen und hat in diesem Jahr bereits fast 90 Menschen enthaupten lassen.

Andere Menschenrechtsverletzer werden hofiert

Dennoch gratulierte Bundeskanzlerin Angela Merkel dem neuen König Salman im Januar zur Thronbesteigung und freute sich auf eine „enge und freundschaftliche Zusammenarbeit“. Im Vergleich zum Iran sind die Saudis in Sachen Todesstrafe die reinsten Waisenkinder. Amnesty International schätzt die Zahl der Hinrichtungen dort auf fast 700 allein zwischen Januar und Mitte Juli diesen Jahres. Das sind drei Exekutionen pro Tag. Und doch saßen westliche Spitzenpolitiker jahrelang mit Vertretern der iranischen Regierung an einem Tisch, um eine Einigung im Atomstreit auszuhandeln.

In Ägypten geht der – mit einem Putsch an die Macht gekommene – Staatschef Abdel Fattah el-Sisi mit drakonischen Mitteln gegen seine Gegner vor. Und doch wurde Sisi im Juni mit allen Ehren in Berlin empfangen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Wenn es nicht gerade um Syrien geht, sprechen Deutschland und andere westliche Staaten wie selbstverständlich mit den Chefs von Regierungen, die routinemäßig und im großen Maßstab die Menschenrechte verletzen.

Saudi-Arabien, der Iran und Ägypten sind wichtige Akteure in der Region. Eine Nahost-Politik ohne Kontakte zu diesen Ländern wäre sinnlos. Im Atomstreit wäre eine Lösung ohne Gespräche mit dem Iran unmöglich gewesen. Ähnliches gilt für Assad. Die Türkei und andere Gegner des syrischen Präsidenten haben vier Jahre lang versucht, die Regierung in Damaskus zu stürzen. Es hat nicht funktioniert, auch wenn Assad die Kontrolle über große Teile seines Landes verloren hat.

Soldaten entsenden will niemand

Dem Westen war das lange Zeit ziemlich egal; erst die Gefahr durch den Islamischen Staat, die Ankunft hunderttausender syrischer Flüchtlinge in Europa und die russische Machtdemonstration haben das geändert. Jetzt hat der Westen ein ernsthaftes Interesse an einer Lösung des Syrien-Konflikts. Und dazu muss er mit Assad reden.

Solche Gespräche wären zweifellos eine Aufwertung des syrischen Präsidenten, ein Triumph für Russland und eine Niederlage für die vom Westen unterstützte syrischen Exilopposition. Schön oder wünschenswert ist das alles nicht. Und doch liegen Verhandlungen im europäischen Interesse. Eine Alternative wäre die Entsendung von Soldaten, um Assad zu entmachten, den Konflikt zu beenden und den Flüchtlingen die Rückkehr zu ermöglichen, doch das will im Westen niemand.

Verweigert Europa bei den Bemühungen um eine Lösung des Syrien-Konflikts aus moralischen Bedenken alle Kontakte zur syrischen Führung, nimmt es sich selbst die Möglichkeit, eigene Interessen zu vertreten und etwas gegen die viel beschworenen Fluchtursachen zu tun. Wenn man nur mit lupenreinen Demokraten reden will, kann man sich eine Nahost-Politik gleich schenken.