welt.de, 01.10.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article147075912/Der-IS-hat-in-den-bombardierten-Gebieten-keine-Praesenz.html

Syrische Rebellen

"Der IS hat in den bombardierten Gebieten keine Präsenz"

Erst der Iran und nun Russland: Assad wird durch militärische Hilfe am Leben erhalten. Die Gegner des Machthabers versichern unterdessen, dass der IS gar nicht das Ziel gewesen sei - sondern sie. Von Alfred Hackensberger
Ein Bild aus Homs zeigt wie Rauch aufsteigt, nachdem russische Kampfflugzeuge Stellungen in der Stadt bombardiert haben
Foto: AP Ein Bild aus Homs zeigt wie Rauch aufsteigt, nachdem russische Kampfflugzeuge Stellungen in der Stadt bombardiert haben

Es ging überraschend schnell. Wenn Russlands Präsident Waldimir Putin befiehlt, dann laufen eben selbst bürokratische Mühlen auf Hochtouren. Am Mittwochmorgen segnete die zweite Parlamentskammer den Militäreinsatz in Syrien ab. Präsident Baschar al-Assad (Link: http://www.welt.de/themen/baschar-al-assad/) habe um Hilfe für sein Land gebeten, ließ der Kreml nach der Wahl bekannt geben. Gegen 11.00 Uhr wurden alle amerikanischen Flugzeuge aufgefordert den syrischen Luftraum unverzüglich zu verlassen.

Keine Stunde später schlugen die ersten Bomben und Raketen in den syrischen Provinzen von Latakia, Homs und Hama ein. Munitionsdepots und Treibstofflager des Islamischen Staats (IS) (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) seien mit "chirurgischer Präzision" getroffen worden. Das behauptete zumindest der russische Verteidigungsminister General Igor Konshenkov. Aber schon wenige Stunden nach den Angriffen wurde klar, dass die Kampfjets vom Typ Sukhoi-24 keine Ziele der Terrorgruppe getroffen hatten.

"Hier habe ich eine Liste der 29 Menschen, die in der Nähe von Homs ums Leben kamen", sagt Hassan, ein syrischer Aktivist gegen das Assad-Regime. Er zeigt auf sein Handy und wischt mit der Hand langsam über den Bildschirm. "Hier ist der Name einer Frau und noch einer und das müssen Mädchen sein". Über 50 Zivilisten sollen bei den 20 Lufteinsätzen der russischen Kampfflugzeuge getötet worden sein. Von "chirurgisch präzise" ist scheinbar, wie so oft bei derartigen Bombeneinsätzen, keine Spur.

"Angriffe gingen gegen die Freie Syrische Armee"

"Alle Angriffe der Russen gingen gegen Brigaden der Freien Syrischen Armee (FSA)", behauptet Mustafa al-Ahmed in seiner Wohnung in der türkisch-syrischen Grenzstadt Kilis. Hier macht der Rebellenkommandeur aus Aleppo einige Tage Urlaub bei der Familie. "Der IS hat in den bombardierten Gebieten keine Präsenz", sagt er und schlürft an seinem Kaffee. Das bestätigte auch der amerikanische Verteidigungsminister Ashton Carter, der sich von Russland "enttäuscht und ernsthaft betroffen" zeigte.

Die ersten Angriffe des Kremls in Syrien sind ein erneuter Schlag ins Gesicht Washingtons. Russland scheint das Verhalten der Türkei zu kopieren. Die hatte nämlich im August angekündigt endlich den IS zu bekämpfen, dies aber nur als Deckmantel benutzt. Statt mit dem IS rechnete Ankara mit ihrem erklärten Erzfeind, der Miliz der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), rigoros ab.

Die ersten Ziele der russischen Luftwaffe in Syrien sind Frontgebiete, in denen die Regierungstruppen Assads unter Druck stehen. In der Provinz Latakia drängen die Rebellen immer weiter auf die Mittelmeerstadt vor. Sie ist eine der letzten festen Bastionen der Regierung in Damaskus. In Homs wurden ausgerechnet die Freischärlermilizen von Liwa Tahrir Homs getroffen. Die "Befreier" liefern sich mit der syrischen Armee ständig Gefechte und versuchen unbedingt den Ortseingang zu erobern. "Die Liwa gibt nie Ruhe", sagt Kommandeur al-Ahmed und fügt hinzu: "Die Russen nehmen den IS nur als Vorwand, um das Assad-Regime wieder einmal vor dem Untergang zu retten." Ganz Homs sei schon von iranischen Truppen besetzt, erklärt er weiter. "Und nun kommen die Russen."

Vor zwei Jahren war der Iran zu Hilfe gekommen

Vor zwei Jahren hatte der Iran das Regime in Damaskus mit Waffenhilfe, Militärberatern und Milizen vor dem drohenden Untergang bewahrt. Dieses Mal scheint Russland nun in die Bresche zu springen (Link: http://www.welt.de/146922672) , da das Regime zum zweiten Mal vor dem Abgrund steht.

"Mit der Unterstützung Assads und dem Kampf gegen alle, die ihn stürzen wollen", sagte US-Verteidigungsminister Carter in Washington, "stellt man sich gegen den ganzen Rest des Landes." Zumindest ein Teil der syrischen Opposition sollte man für einen politischen Übergangsprozess berücksichtigen. Aber genau das scheint dem Kreml zum gegenwärtigen Zeitpunkt egal zu sein. Bei dem Teil der Rebellen, den Carter für die zukunftstauglich hält, herrscht eine Mischung aus Ärger, Durchhaltewillen und Sorge über die russische Militärintervention.

"Syrien, unsere Heimat ist eine Spielwiese ausländischer Mächte", meint al-Ahmed etwas resigniert. Das Eingreifen Russlands würde den Bürgerkrieg nur weiter verkomplizieren und noch weit mehr Menschen töten. "Aber wir werden auch das überstehen und bis zum letzten Blutstropfen kämpfen."

Die syrischen Rebellen sehen sich bestätigt

Ähnlich sieht es Abu Abdu Kassab von der 1. Brigade in Aleppo-Stadt. "Das Blutbad wird sich noch ausweiten", meint der Sicherheitschef seiner Brigade. "Aber wir bereiten uns auf die Russen und ihre Luftwaffe vor." Kassab berichtet vom Ausbau unterirdischer Tunnel und Bunker für die Kämpfer. "Bisher haben wir nur Waffen und Munition unter der Erde gesichert. Jetzt werden das auch unsere Soldaten tun."

Zudem richte man fingierte Basen und Waffenlager ein, "die die Russen gerne bombardieren können" (Link: http://www.welt.de/147052130) , sagt der 28-Jährige lachend. Für die Führer der Gruppe gibt es neue, besondere Sicherheitsmaßnahmen. "Man muss sich ja auf gezielte Tötungen aus der Luft einstellen", erklärt Kassab weiter. Von den russischen Luftangriffen sieht er sich und seine Arbeit bestätigt.

"Auch wir treffen Vorsichtsmaßnahmen, bauen Tunnel und Bunker aus", sagt Abu Firas von der Schami-Front. Der ehemalige Pilot der syrischen Luftwaffe weiß aus Erfahrung, wie wichtig die Vorbereitungen sind. "Die neuen Flugzeuge aus Russland verfehlen nicht mehr ihr Ziel. Sie sind mit moderner Technik ausgerüstet."

Irgendwann ist Schluss mit Flugabwehrraketen

Bisher warfen die syrischen Piloten in ihren Mig-23 die Bomben noch wie im zweiten Weltkrieg ab. Die Maschinen alter Bauart hatten keine Lenkflugkörper. Aber die Dutzenden von Kampfflugzeugen, die Russland auf dem Bassel al-Assad Flughafen in der Nähe Latakias stationierte, sind mit gelenkten Bomben und Raketen ausgestattet. Und die Rebellen können sich dagegen nicht wehren. Sie bräuchten dazu schon Patriot-Flugabwehrraketen (Link: http://www.welt.de/themen/patriot-flugabwehrraketen/) .

Abu Fares wäre schon mit dem mobilen Luftabwehrsystem vom Typ Osa zufrieden. Aber die Rebellen haben davon nur wenige auf Militärbasen des Regimes erbeuten können. Und irgendwann ist Schluss mit passenden Raketen.

Nicht alle Rebellengruppe nehmen die neue russische Bedrohung wirklich Ernst. "Leider sind sie so unvorsichtig", sagt Abu Fares kopfschüttelnd. Die meisten der Rebellen seien vor der Revolution eben normale Zivilisten gewesen und keine Soldaten. "Da gibt es einen großen Unterschied in der Mentalität." Abu Fares erzählt, wie er immer als Feigling ausgelacht wurde, wenn er ein Flugzeug am Himmel hörte und in den Schutzraum gelaufen ist. "Zwei von den Lachern sind bei einem Luftangriff gestorben, wobei einem der Kopf abgerissen wurde", erinnert sich der ehemalige Pilot. "Alle anderen laufen mir jetzt in den Luftschutzraum hinterher."