FAZ, 01.10.2015 http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krieg-in-syrien-oel-in-ein-hoellenfeuer-13834567.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 Krieg in Syrien Öl in ein Höllenfeuer Moskau entfacht in Syrien einen globalen Stellvertreterkrieg. Für Assad ist die russische Machtdemonstration ein Glücksfall. Doch Putins Vorgehen ist auch für ihn riskant. von Christoph Ehrhardt, Andreas Ross und Friedrich Schmidt Wladimir Putin hat nicht verhehlt, was er mit der Operation Syrien bezweckt: Er will Baschar al Assad beschützen. „Das ist richtig“, sagte der russische Präsident in einem zum Wochenbeginn ausgestrahlten Interview mit dem Sender CBS auf die Frage, ob sein Militärengagement nicht vor allem der Unterstützung des Diktators in Damaskus diene und weniger dem Kampf gegen die Dschihadisten des „Islamischen Staats“ (IS). Dass Putin seinen unverhohlenen Worten nun so schnell so eindeutige Taten folgen lässt scheint im Westen manchen überrascht zu haben. Am Donnerstag fliegen russische Kampfflugzeuge den zweiten Tag in Folge Angriffe auf Ziele in Syrien. Jedes Mal, teilt das russische Verteidigungsministerium mit, hätten sie dem IS gegolten. Doch tatsächlich treffen sie vor allem andere Rebellen entlang der Frontlinien, an denen das Assad-Regime von Milizen bedrängt wird, die nicht zum IS gehören. Die Bündnispartner geben sich auch wenig Mühe, zumindest den Eindruck zu erwecken, als wollten sie das IS-Regime treffen. Der Kreml spricht von einer Reihe von Terrororganisationen, die angegriffen werde, und gemäß der Sprachregelung des Assad-Regimes sind ohnehin alle Oppositionelle Terroristen. Die syrische Staatspresse vermeldet detailliert die Orte an denen die Angriffe geflogen werden – die meisten liegen weit entfernt von IS-Hochburgen wie Raqqa im Osten Syriens. Die russische Reaktion auf die Berichte, die ersten Luftschläge in Syrien hätten nicht Positionen des IS, sondern anderer Rebellen gegen Assad getroffen, folgt einem bekannten Muster: Ein „ideologischer Angriff“ sei das, heißt es aus der Duma. Ein „Informationskrieg“, aus dem Außenministerium. Auch Präsident Wladimir Putin spricht mit Blick auf Berichte über zivile Opfer von einer „Informationsattacke“. Genauso hatte Moskau stets Medienberichte über russische Militäraktivitäten in der Ukraine zurückgewiesen und bis vor kurzem auch Berichte über den Aufbau des neuen russischen Luftwaffenstützpunkts nahe der syrischen Küstenstadt Latakia. In New York verbringen die Außenminister Sergej Lawrow und John Kerry den größten Teil des Mittwochs beisammen. Zunächst liefern sie sich ein öffentliches Duell im Sicherheitsrat. Als amtierender Ratspräsident hatte Russland zu einer Sitzung über „Weltfrieden, Sicherheit und den Kampf gegen Terrorismus“ eingeladen. Kerry tut Amerikas „gravierende Sorgen“ über Schläge gegen Assad-Gegner kund, die gar nicht dem IS angehören. Wie jeden Tag seit Beginn der UN-Generaldebatte bekräftigt der Minister, dass russische Hilfe im Kampf gegen den IS willkommen wäre. Doch auch ohne Moskau werde die Koalition ihre Angriffe auf IS-Stellungen „dramatisch beschleunigen“. Damit weist Kerry Moskaus Forderung zurück, aus Sicherheitsgründen die eigene Luftwaffe vom syrischen Luftraum fernzuhalten. Die Amerikaner haben am Mittwoch viele Gründe, Moskau böse zu sein: Putins Treue zu Assad, die Angriffe auf von der CIA ausgebildete Kräfte und ebenjene freche Forderung an die seit einem Jahr bestehende IS-Koalition, sich zurückzuziehen. Doch am meisten empört die Amerikaner am Mittwoch Moskaus Informationspolitik. Ein General rief nach Pentagon-Darstellung am Morgen in der amerikanischen Botschaft in Bagdad an und kündigte dem Militärattaché einen Besuch in einer Stunde an. Dabei verlas er dann eine knappe Erklärung. Seit langem habe er mit den Russen zu tun, sagt ein verärgerter Verteidigungsminister Ashton Carter im Pentagon, aber „dies ist nicht das professionelle Verhalten, das wir vom russischen Militär erwarten“. Für Carter steht fest: Der Kreml „gießt Öl ins Feuer“. Nicht nur Franzosen und Briten, sondern auch der irakische Ministerpräsident Haider al Abadi stärken den Amerikanern den Rücken. Abadi fordert, Russland solle sich mit der von Amerika koordinierten Koalition abstimmen und den IS bekämpfen. Seit dem Wochenende bemüht sich Washington, die Meldung über einen Geheimdienstaustausch zwischen Russen, Iranern und Irakern als Putinsche Propaganda abzutun: Die drei Länder tauschten seit Jahren Erkenntnisse aus, aber Russland habe den Irakern nicht viel anzubieten. Mit einer Mischung aus Spott, Prinzipienfestigkeit und Zweckoptimismus stemmten sich die Amerikaner dem Kreml entgegen. Nach Putins Rede in New York ließen sich Regierungsmitarbeiter mit Sätzen wie „Na dann viel Glück“ zitieren – auch Russland werde bald begreifen, dass der Aufbau einer Einheitsfront in Syrien gegen wen auch immer eine Sache der Unmöglichkeit sei. Amerikanische Diplomaten schöpften ein wenig Zuversicht aus ihrer festen Überzeugung, dass auch Putin bald scheitern werde. Dann werde der Kreml sich aber so tief in die Situation verwickelt haben, dass eine reine Blockaderolle im UN-Sicherheitsrat keine Option mehr sei. Diese zweckoptimistische Lesart, wonach Putin gezwungen werde, selbst auf eine Übergangsregierung ohne Assad hinzuarbeiten, beruht freilich auf der fragwürdigen Prämisse, dass er sich gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit zu Hause rechtfertigen müsste – oder dass er Assad nicht mehr als Gewähr, sondern als Gefahr für die Bewahrung des russischen Brückenkopfs in die Nahostregion hielte. Auch das hatte Obama klargemacht: Amerika ist bereit zur Zusammenarbeit mit Moskau und Teheran. So leidenschaftlich sein Bekenntnis zur Demokratie ausfiel, so eindeutig setzt der Präsident darauf, dass auch autokratisch regierte Mächte wie Russland ihren Teil zur Lösung der Weltprobleme beitragen. Obamas Syrien-Politik ist nicht darauf ausgerichtet, Russland zu vertreiben. Viele Republikaner werfen dem Oberbefehlshaber auch deshalb Schwäche vor. Vorerst geht es nur noch um das Minimum der Diplomatie: Gespräche zwischen Militärs beider Staaten, um „Unfälle“ im syrische Luftraum zu vermeiden, die den Konflikt endgültig in einen globalen Stellvertreterkrieg verwandeln könnten. Nach einer weiteren Unterredung in New York heben Lawrow und Kerry am Mittwochabend zwar Gemeinsamkeiten hervor. Man rede über „konkrete Schritte, die uns helfen könnten, die richtige Richtung einzuschlagen“, sagt Kerry. Es klingt nicht zuversichtlich. „Wir sind uns einig“, sagt Kerry, „dass viel Arbeit vor uns liegt.“ Russische Luftwaffe setzt die Angriffe fort Am Donnerstag setzt die russische Luftwaffe ihre Angriffe in Syrien fort. Dieses Mal treffen sie offenbar vor allem die von Saudi-Arabien unterstützte islamistische Rebellenallianz „Dschaisch al Fatah“. Zu dieser gehören die Nusra-Front, der syrische Al-Qaida-Ableger, sowie die von der Türkei unterstützte Dschihadistemiliz Ahrar al Scham, die sich um eine moderatere Außendarstellung bemüht. Der libanesische, als Assad-freundlich geltende Sender Al Madayeen TV und syrische Oppositionelle berichten, es seien Stellungen der Rebellen in der Provinz Idlib getroffen worden. Die Islamisten haben Assad-Truppen von dort vertrieben und bedrohen nun das alawitische Kernland des Regimes um die Küstenstadt Latakia. In Beirut kursieren Meldungen, es werde dort eine Bodenoffensive des Regimes und seiner Verbündeten Iran und Hizbullah vorbereitet. Am Mittwoch werden zunächst vor allem Ziele in den Provinzen Homs und Hama angegriffen. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana verbreitet die Meldung unter dem russischen Wappen. Mehrere Orte werden als Ziel russisch-syrischer Luftangriffe genannt. Allein in der Umgebung der Stadt Salamijah gibt es eine nennenswerte IS-Präsenz. In vielen Fällen sind offenbar nicht-dschihadistische Rebellen getroffen worden. Von Sana genannte Orte wie Rastan, Talbisah, Al Zaafranah liegen an oder in der Nähe der wichtigen Autobahn, die Damaskus mit den Städten Homs und Hama verbindet. Auch aus Daraa im Süden, einer Bastion der „Freien Syrischen Armee“ meldet die Opposition Angriffe. Videos, die von Assad-Gegnern im Internet verbreitet werden, und Augenzeugenberichte erhärten den Eindruck, dass Putins erste Angriffswelle vor allem der Stärkung es Assad-Regimes dient. Aufnahmen, die in Talbisah gemacht worden sein sollen, zeigen verstörende Bilder von blutüberströmten Kindern und von Helfern, die verkohlte Körper durch dichte Wolken aus Rauch und Staub tragen. Mehre Augenzeugen berichten am Mittwoch, die Einschläge und Explosionen seien deutlich heftiger gewesen als bisher, was dafür spreche, dass es sich um russische Angriffe handelte. Nach Angaben der oppositionellen Nationalen Koalition ist auch die Rebellengruppe Tadschamu al Izza angegriffen worden, die von den Vereinigten Staaten unterstützt werde. Die Amerikaner verbreiten zunächst keine Informationen darüber, ob bei den russischen Schlägen tatsächlich Kämpfer getötet wurden, die sie selbst für den Kampf gegen Assad ausgerüstet haben. Am weitesten lehnt sich in Washington ein Regierungsmitarbeiter mit der Formulierung aus dem Fenster, man habe „keinen Grund, Berichte zu bezweifeln, dass von der Koalition unterstützte Truppen aus Hama getroffen wurden“. Wie viele Syrer die CIA in jordanischen Trainingslagern ausgebildet hat, ist unklar. Von 3000 bis 5000 Mann schreibt am Donnerstag die Zeitung „New York Times“, die „Washington Post“ wollte kürzlich von 10.000 Kämpfern wissen. Aus ihrem Geheimbudget soll die CIA jährlich fast eine Milliarde Dollar für das Programm bereitgestellt haben. Allerdings plant der mit Obamas Syrien-Strategie unzufriedene Kongress, die Mittel drastisch zu kürzen. Für Assad ist die russische Machtdemonstration ein Glücksfall Der Kremlfernsehen hingegen feiert die Luftschläge. Es berichtet direkt von dem Stützpunkt in Latakia, dessen Existenz lange als Teil des angeblichen „Informationskrieges“ des Westens bestritten worden war. Es geht weniger um die eigene Glaubwürdigkeit als um stetige Anklagen an die Adresse der „Partner“. Das Fernsehen schwört das Publikum auf den Krieg gegen „Terrorismus“ ein und erinnert an Terroranschläge vergangener Jahre. Wenn es dem Kreml tatsächlich nur um den Kampf gegen den IS oder andere radikale Islamisten ginge, ergäben sich tatsächlich gemeinsame Interessen mit den westlichen Staaten. Dann könnte Russlands Eingreifen in den Bürgerkrieg, wie manche im Westen in den vergangenen Wochen zu hoffen schienen, zu einer Annäherung führen. Doch in Moskau macht man seit langem hinter jedem Aufbegehren gegen autoritäre Herrscher in aller Welt den langen Arm der CIA aus. Schon der Krieg in der Ukraine wurde dem heimischen Publikum als Abwehrkampf gegen den Westen verkauft. Russlands Luftschläge erscheinen in diesem Lichte als Machtdemonstration in einem Stellvertreterkrieg, den keiner so nennen will. Es ist ein Kampf, den Moskau mit einem recht geringem militärischen Aufwand führt: rund 30 Dutzend Flugzeuge und 1500 Soldaten, wie die Zeitung „Wedomosti“ am Donnerstag meldete, zuvor war von 1700 berichtet worden. Für Assad ist die russische Machtdemonstration ein Glücksfall. Zum Einen bringt ihm Moskaus Eingreifen Luftunterstützung zur Sicherung seines Kernlandes. Zum anderen stärkt die russische Waffenhilfe die Moral seiner dezimierten Truppen. Für die Menschen in den Regionen, die von Assads Gegnern kontrolliert werden, bedeuten die russischen Luftangriffe zusätzlichen Terror. Der russische Einsatz ist indes ein militärischer Erfolg – kein diplomatischer. Von Moskaus angeblich angestrebtem breiten Bündnis gegen den IS unter Einschluss Assads sind seit Mittwoch einstweilen nur Assad und Iran übrig. Die arabischen Golfstaaten, die die Rebellen unterstützen, sind erzürnt. Allein die Männerfreundschaft Putins mit dem ägyptischen Machthaber Abd al Fattah al Sisi dürfte keinen Schaden nehmen, denn die Führung in Kairo ist an einem Sturz des syrischen Diktators nicht interessiert. Doch die jüngst erfolgreich betriebene Annäherung Moskaus an Saudi–Arabien ist in Gefahr geraten. Der UN-Botschafter des Königreichs äußerte am Donnerstag scharfe Kritik an Russland. Bei mehreren Treffen hatten Riad und Moskau über Milliardeninvestitionen gesprochen. Es ging um russische Waffenlieferungen und Kernkraftwerke. Doch der Streit über Assad hatte immer zwischen beiden Ländern gestanden. Das Riad nun kompromissbereiter ist, ist nicht anzunehmen. Zudem riskiert Moskau, Muslime
in Russland selbst zu radikalisieren. Im Nordkaukasus verfolgt Moskau
eine Politik der harten Hand, die nach Überzeugung von Menschenrechtlern
viele junge Männer erst nach Syrien und in den Irak getrieben hat. Sogenannte
Antiterroroperationen ziehen regelmäßig ganze Dörfer in Mitleidenschaft.
Im vergangenen Jahr wurden laut einer unabhängigen Zählung etwa in Dagestan
208 Menschen bei Angriffen durch Extremisten sowie den Gegenmaßnahmen
der Sicherheitskräfte getötet. Und ausgerechnet aus Tschetschenien kündete
Machthaber Ramsan Kadyrow am Mittwoch an, es stünden „Tausende Freiwillige“
für Russlands neuen Kampf in Syrien bereit. Christoph Ehrhardt Autor: Christoph
Ehrhardt, Korrespondent für die arabischen Länder mit Sitz in Beirut.
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