welt.de, 04.10.2015

http://www.welt.de/politik/deutschland/article147178969/Erdogan-plant-Fluechtlingslager-auf-syrischem-Boden.html

Sicherheitszone

Erdogan plant Flüchtlingslager auf syrischem Boden

Ohne die Türkei lassen sich die Migrationsströme nicht steuern, nun will sie die Grenze zu Griechenland besser sichern. Ankara schwebt eine Sicherheitszone für Flüchtlinge auf syrischem Gebiet vor. Von Robin Alexander , Manuel Bewarder , Daniel Friedrich Sturm

In Brüssel bekommt Recep Tayyip Erdogan am Montag die große Bühne. Der türkische Präsident ist zu Gast bei den Spitzen der Europäischen Union, gemeinsam mit Ratspräsident Donald Tusk wird er vor die Presse treten. Der Besuch – vier Wochen vor der von Erdogan herbeigeführten Neuwahl des Parlaments in Ankara – könnte symbolhafter nicht sein. Die EU und ihre Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, hofieren den autokratischen Herrscher – denn sie brauchen ihn. Bei der Frage, wie es in Syrien weitergeht und vor allem mit den Flüchtlingsströmen, ist die Türkei das Schlüsselland schlechthin.

Die Formel, die in Berlin und Brüssel kursiert, ist denkbar simpel: Solange die Terrororganisation "Islamischer Staat (Link: http://www.welt.de/146928582) " (IS) und der syrische Machthaber Baschar al-Assad den Syrern das Leben zur Hölle machen, solange werden sie fliehen. Eine geordnete, legale Zuwanderung in die EU aber kann es nur in Zusammenarbeit mit der Türkei geben. Die EU muss ihre Außengrenze von Bulgarien und Griechenland zur Türkei besser sichern, und ist dabei auf ihren mächtigen Nachbarn angewiesen. Solange Ankara das Rückführungsabkommen nicht einhält, ist die EU machtlos. Der Ärger über die zwielichtige Rolle Ankaras mag noch so groß sein – in diesem Herbst wird Erdogan umgarnt.

Erdogans Wunschliste ist lang, und der Präsident ist politischer Fuchs genug, um sich seine Kooperation mit opulenten Gegenleistungen bezahlen zu lassen. Schon lange träumt die Türkei von einer Visafreiheit ihrer Bürger für Reisen in die EU. Bisher ist dafür das Jahr 2017 avisiert. Für den Wahlkämpfer Erdogan wäre eine frühere Perspektive ein Triumph. Gleiches gilt für die Überlegung, die Türkei zu einem sicheren Herkunftsstaat zu deklarieren.

Die prekäre Menschenrechtslage, vor allem mit Blick auf die Kurden, lässt das eigentlich nicht zu – doch für die EU-Staaten wäre dieses Gütesiegel ein Hebel, um Flüchtlinge zurückschicken zu können. "Erdogan profitiert davon, dass wir bei der Flüchtlingspolitik in der EU keine gemeinsame Antwort haben", sagt die Grünen-Außenpolitikerin Franziska Brantner: "Nun will sich der türkische Präsident einen Freifahrschein für seine repressive Politik gegenüber den Kurden besorgen."

"Neues Verhältnis zur Türkei"

Die seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei sind bisher blockiert. Vor allem Frankreich, Österreich und Zypern stellen sich stur gegenüber Ankara. Doch werden auch sie künftig die Hand gen Ankara ausstrecken? Dass die Türkei Defizite hat bei Demokratie, Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie im Justizwesen, ist im demokratisch-aufgeklärten Europa eher selten zu hören.

"Ich glaube, wir brauchen ein neues Verhältnis zur Türkei", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in dieser Woche. Beschimpfungen würden nicht weiterhelfen. Und: Wenn Deutschland etwas von Ankara wolle, dann müsse man auch auf die türkische Regierung zugehen. Innenexperten, vor allem aus der Union, bereitet das große Sorgen. Auf der anderen Seite wissen sie, wie stark Deutschland derzeit unter Druck steht.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) war schon Mitte September nach Ankara gereist, um mit Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu zu beraten. Die Bundesregierung beginnt nach Informationen dieser Zeitung einen "Migrationsdialog" mit der Türkei. "Jetzt müssen potenzielle Felder für die konkrete Zusammenarbeit mit der Türkei identifiziert werden", heißt es dazu im Auswärtigen Amt. Kanzlerin Angela Merkel traf Davutoglu in der vergangenen Woche am Rande des UN-Nachhaltigkeitsgipfels in New York, um die Flüchtlingsfrage zu erörtern. Das vertrauliche Gespräch in der Bibliothek des "Deutschen Hauses" verlief dem Vernehmen nach relativ ergebnislos.

Türkei will Sicherheitszone in Syrien für Flüchtlinge

Die Türkei nämlich verfolgt eine eigene Idee, um den Flüchtlingsstrom zu verringern. Sie möchte eine Sicherheitszone an ihrer Südgrenze auf syrischem Gebiet (Link: http://www.welt.de/146324055) errichten, in der westliche Verbündete Luftangriffe des Assad-Regimes verhindern. Dort – und nicht länger in der Türkei – sollen die Flüchtlinge in Lagern wohnen. Noch sind die USA aber nicht bereit, die Sicherheit in einem solchen Gebiet zu garantieren.

Ankara versucht den Druck zu erhöhen, indem es ein Horror-Szenario an die Wand malt für den Fall, dass das syrische Regime unkontrolliert zusammenbricht. Derzeit befinden sich etwa zwei Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Bei einem Fall der Hauptstadt Damaskus, wurde deutschen Regierungskreisen bedeutet, würde sich diese Zahl nach einer Schätzung der Regierung in Ankara binnen kürzester Zeit verdoppeln.

Laut der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verpflichtete sich die türkische Regierung gegenüber der EU, die Grenze zu Griechenland besser zu sichern. Zu diesem Zweck sollten die türkische und die griechische Küstenwache gemeinsam in der östlichen Ägäis patrouillieren, koordiniert von der EU-Grenzschutzagentur Frontex.

In deutschen Sicherheitsbehörden wird geklagt, man habe in der Kooperation mit der Türkei (Link: http://www.welt.de/146215077) seit dem Ausbruch der Syrien-Krise 2011 wenig erreicht. Mehr als 740 Islamisten sind aus Deutschland in das Kriegsgebiet gereist. Viele von ihnen kehrten wieder zurück und bereiten den Behörden erhebliche Sorgen. Will Ankara den Dschihad-Tourismus tatsächlich einschränken? In Sicherheitskreisen wird das bezweifelt. Ein kleinen Erfolg konnte die Bundesregierung im vorigen Winter erzielen. Die Türkei schaute damals zu, wie alle paar Tage Frachtschiffe mit Flüchtlingen beladen wurden und sich nach Italien aufmachten. Berlin protestierte scharf. Die Türkei lenkte ein und stoppt die Schiffe seitdem.