Berliner Zeitung, 05.10.2015

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Flüchtlingskrise

Distanzierte Partnerschaft mit der Türkei

Von Peter Riesbeck

Brüssel – Während die Beitrittsgespräche mit der Türkei stocken, entdeckt die EU bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise die Türkei wieder als Partner. Ein schwieriges Verhältnis.

Irgendwie war es den Gastgebern ein wenig unangenehm. Aber die Einladung stand – noch von der Vorgängerregierung. Und so mussten Belgiens König Philippe und sein Premier Charles Michel Montag früh den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit militärischen Ehren empfangen. Trotz Protesten von Menschenrechtlern wegen Erdogans Kurden-Politik.

In der Flüchtlingskrise wollen die Türkei und Europa zwar zusammenarbeiten – doch beim Umgang mit dem Konflikt in Syrien offenbaren sich auch in Brüssel Differenzen. Es sei „traurig zu sehen“, dass einige Staaten die kurdische Arbeiterpartei PKK in der Praxis nicht als Terrororganisation behandelten, sagte Erdogan dann bei einem gemeinsamen Auftritt mit EU-Ratspräsident Donald Tusk. Er setzte kurdische Kämpfer und Verbände mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gleich. Der Kampf der Kurden gegen den IS dürfe der kurdischen Organisation keinen „Mantel der Legitimität“ verleihen. Tusk hatte zuvor angemerkt: „Wir sind uns einig im Kampf gegen Daesh (den IS).“

Missbraucht Ankara den Kampf gegen den IS?

Ankaras Vorgehen gegen die PKK wird in einigen europäischen Hauptstädten äußerst kritisch gesehen. Von Anbeginn des neuerlichen Eingreifens sieht es so aus, als missbrauche die Regierung den Kampf gegen den IS für ihren Kampf gegen die Kurden.

Tusk kritisierte zudem die russischen Bombenangriffe in Syrien scharf. „Wir waren uns einig, dass die Lösung nicht dadurch herbeigeführt werden kann, dass Russland, in Allianz mit (dem syrischen Präsidenten) Assad legitime Oppositions-Kräfte bombardiert.“

Zum Umgang mit der Flüchtlingskrise sagte Tusk, die EU müsse ihre Außengrenzen besser schützen. „Wir erwarten von der Türkei das Gleiche.“ Erdogan wies darauf hin, dass die Türkei seit nunmehr vier Jahren Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs gastfreundlich aufnehme, ohne Ansehen der Religion. Derzeit befänden sich beinahe 2,5 Millionen Migranten im Land, 2,2 davon aus Syrien.

Türkei als Partner wiederentdeckt

Während die Beitrittsgespräche mit der Türkei stocken, entdeckt die EU also in ihrem Dilemma bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise die Türkei wieder als Partner – als schwierigen Partner. In Brüssel ging es um politische Deals. Mit einer Milliarde Euro wollen die EU-Staats- und Regierungschefs die Hilfe der Türkei für die rund 1,8 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land unterstützen. Die EU hofft auch auf den Aufbau sechs weiterer Flüchtlingslager in der Türkei. Erdogan beharrt im Gegenzug auf Visa-Erleichterungen für türkische Bürger bei Reisen in die EU. Möglich sei auch, syrische Flüchtlinge aus der Türkei in die EU umzusiedeln. Von 500 000 Menschen war die Rede. Aber über konkrete Zahlen wurde in Brüssel ungern geredet. Wichtig war das Symbol: Die EU und die Türkei sind im Gespräch. Und das Signal: eine engere Zusammenarbeit bei den Grenzkontrollen.

Von 350 000 syrischen Asylbewerbern, die über die Türkei in die EU kommen, wurde nur jeder siebte an der türkischen Grenze aufgehalten. „Das sind doch zwei Nato-Partner“, schimpfte unlängst ein hochrangiger deutscher Vertreter über die schleppende Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Griechenland. Das soll sich nun ändern. Denkbar seien gemeinsame Kontrollen auf der Ägäis. Weniger zur Rettung der Flüchtlinge. Wer aufgegriffen werde, solle zurückgeschoben werden. (mit dpa)