Der Standard, 07.10.2015

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Grüne Abgeordnete besucht Kurdengebiet: "Es herrscht Staatsterror"

Markus Bernath

Die Führung versuche die Menschen vor der Wahl der HDP abzuschrecken, sagt Berivan Aslan

Die österreichische Nationalratsabgeordnete Berivan Aslan zeichnet ein verstörendes Bild von einer mehrtägigen Reise durch kurdische Städte im Südosten der Türkei. Dort verhängt die Exekutive nun immer wieder mehrtägige Ausgangssperren, die von Sondereinheiten der Polizei zu bewaffneten Operationen benutzt werden. "Es herrscht Staatsterror", sagte die grüne Abgeordnete am Dienstagabend in einem Telefongespräch mit dem STANDARD.

Aslan besuchte mit einer internationalen Delegation Nusaybin, Cizre und Silvan im Dreiländerdreieck zu Syrien und dem Irak. Dabei versuchte die Polizei der Delegation den Zutritt zu Nusaybin zu verwehren, wo die Bewohner fünf Tage ohne Telefon, Internet und Nahrungslieferungen waren.

90 Prozent HDP

Vor der neuerlichen Parlamentswahl am 1. November habe die Führung des Landes gezielt Städte für die Polizeieinsätze ausgesucht, in denen bei der Wahl im Juni zu 90 Prozent die kurdisch orientierte Minderheitenpartei HDP gewählt worden war, hätten Bewohner berichtet. Die Polizisten, die in den Gassen um sich feuerten, sollen keine Uniform getragen haben und seien wie Guerillakämpfer gekleidet gewesen. Unter der Bevölkerung werde spekuliert, dass es sich um irreguläre Kämpfer handelt.

In Cizre wie in Silvan sah die Delegation von Politikern aus Österreich, Deutschland und den Niederlanden zahlreiche zerschossene Wassertanks und zerstörte Lebensmittelgeschäfte. In Cizre starben bei den Einsätzen nach Angaben der Bevölkerung 21, in Silvan vier Zivilisten. In der Stadt Sirnak band die Polizei die Leiche eines mutmaßlichen PKK-Kämpfers an ein gepanzertes Fahrzeug und schleifte sie durch die Straße. Premier Ahmet Davutoglu verurteilte das.

Botschaft an die Kurden

Nach Aslans Eindruck gibt es in diesen Städten keine Kämpfe der Polizei mit Mitgliedern der PKK-Jugendorganisation YDG-H, wie es in türkischen Medien dargestellt werde. Barrikaden in den Gassen würden von jungen Kurden errichtet, die sich gegen die Kampfeinsätze der Polizei wehren wollen. "Ich sehe diese Angriffe und Ausgangssperren als eine Politik der Abschreckung der Regierung", sagt Aslan. "Wenn ihr uns nicht wählt, dann passiert euch das", sei die Botschaft an die Kurden: "Manche Bewohner mögen sich dann denken: 'Bevor meine Familie stirbt, wähle ich AKP. Dann habe ich Frieden.'"

Die seit 2002 regierende konservativ-islamische Partei für Entwicklung und Gerechtigkeit (AKP) des heutigen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan verlor bei den Parlamentswahlen im Juni erstmals die absolute Mehrheit durch den Einzug der HDP. Eine Koalition kam nicht zustande, Erdogan setzte Neuwahlen am 1. November an. Viele HDP-Politiker beklagten, sie könnten wegen der Ausgangssperren und der angespannten Sicherheitslage keinen Wahlkampf führen.

Die Delegation war vom sogenannten Friedensblock, einer Vereinigung von NGOs, organisiert worden. Neben Aslan nahmen aus Österreich der Klubobmann der Grünen im Tiroler Landtag, Gebi Mair, und der grüne Innsbrucker Gemeinderat Mesut Onay teil. (Markus Bernath, 6.10.2015)