welt.de, 06.10.2015 http://www.welt.de/politik/ausland/article147294929/Tuerkei-soll-USA-vor-militanten-Kaempfern-schuetzen.html Kampf gegen IS Türkei soll USA vor militanten Kämpfern schützen Ein erster Versuch der USA, syrische Rebellen im IS-Kampf auszubilden, scheiterte komplett. Nun laufen Vorbereitungen für ein neues Trainingsprogramm, bei dem die Türkei für Sicherheit sorgen soll. Von Alfred Hackensberger Für Ahmed schien es ein gutes Projekt. Es gab genügend Waffen, gutes Geld und Luftunterstützung der Amerikaner. Und der 21-Jährige hatte einen guten Grund, sich der 30. Division (Link: http://www.welt.de/144979046) anzuschließen. Er brauchte eine Geisel des Islamischen Staats (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) (IS). Sein Vater, Abu Ahmed, war von den Terroristen entführt worden, und nur ein Austausch konnte ihn retten. Eine bessere Gelegenheit als bei der 30. Division, so dachte Ahmed, würde er nicht bekommen. Bei der Spezialeinheit der syrischen Rebellen, die das US-Verteidigungsministerium im Kampf gegen den IS (Link: http://www.welt.de/147247311) trainierte und bewaffnete, würde er den einen oder anderen Gefangenen machen können. Aber alles kam ganz anders, als er dachte. Ahmed und seine 53 Kameraden, die im Juli als erster Trupp der 30. Division nach Syrien geschickt wurden, erreichten nie die Front. Ein Teil der Soldaten desertierte, den Rest verfolgte der Al-Qaida-Ableger Nusra-Front. Wer von ihr nicht gefangen wurde, floh, wie Ahmed, zurück in die Türkei. Im September schickten die USA ein zweites Kontingent von 75 Mann über die Grenze. Sie fuhren direkt ins Gebiet der Nusra-Front, übergaben ihre Waffen und sollen zu den Dschihadisten übergelaufen sein. Schlimmer konnte das 500 Millionen Dollar teure Projekt des Pentagon nicht enden. Aber Washington gibt nicht auf. Unter strengster Geheimhaltung laufen bereits die Vorbereitungen eines neuen Trainingsprogramms für syrische Rebellen, die gegen die IS-Terrorgruppe eingesetzt werden sollen. "Alles wird schneller und effizienter gemacht", sagt Abu Hassan, ein syrischer Rebellenkommandeur und einer der Mitorganisatoren des neuen Projekts. Die USA seien wieder dabei, aber diesmal übernehme die Türkei die führende Rolle. "Die alten Fehler sollen vermieden werden", fügt Abu Hassan an. "Diesmal wird es gelingen." Er schlürft an einem Teeglas im Salon seiner Wohnung in der türkischen Grenzstadt Kilis. Der junge Ahmed musste Anfang dieses Jahres drei Monate warten, bis es endlich losging. Dann folgten sechs Wochen Ausbildung in Jordanien und noch einmal 30 Tage in der Türkei. "Das ist viel zu lang", findet Abu Hassan. "Alle, die sich melden, haben bereits ausgiebige Kampferfahrung, schließlich dauert der Bürgerkrieg schon über vier Jahre." Nun würde es nach einer Woche Training sofort losgehen. Die Soldaten müssten nur den Umgang mit den neuen amerikanischen Waffen lernen. Und das sei für sie wirklich nicht schwer. Die Bewaffnung erfolge unmittelbar nach dem Ende des Kurses, so Abu Hassan weiter. Welchen Sinn ergebe es denn, wenn die Leute auf ihre Ausrüstung auch noch wochenlang warten müssten? "Sie brennen auf ihren Einsatz", sagt Abu Hassan. Abu Hassan dürfte das alles nicht erzählen, aber er ist so aufgebracht über den Dilettantismus der USA. Er kann nicht anders. "Die 30. Division, das war ein glatter Witz", schimpft er. "Man hatte den Eindruck, als wollten die Amerikaner keine richtige Arbeit leisten." Kleine Gruppen von 54 und 75 Mann über die Grenze zu schicken sei völlig verantwortungslos. "Wie sollen sie sich gegen Hunderte von Al-Qaida-Kämpfern wehren?", fragt Abu Hassan aufgebracht. Diesmal sollen es wesentlich mehr Kämpfer sein, die gemeinsam nach Syrien gingen. Das Problem bei den Amerikanern, so Abu Hassan, sei das Auswahlverfahren für die Teilnahme am Training gewesen. Dabei seien nicht so sehr die Sicherheitsauflagen ein Hindernis gewesen. "Alle mussten kerngesund sein, und wer auch nur schlechte Zähne hatte, wurde nicht genommen." Völlig absurd sei das. "Die Leute leben im Krieg, es gibt kaum Wasser, Elektrizität, und die Ernährung ist schlecht", so der Rebellenkommandeur. "Da kann man doch nicht erwarten, dass alle so fit wie Piloten sind." Ahmed berichtet, dass mit ihm rund 1000 Leute getestet wurden. "Am Ende blieben nur 150 übrig, und von denen sprangen nach dem Training in Jordanien 90 ab." Als sie nämlich hörten, dass sie anschließend in der Türkei noch einen Monat trainieren sollten, hätten sie keine Lust mehr gehabt. Viele seien auch verärgert gewesen, dass man ihnen nicht erlaubte, gegen das Assad-Regime (Link: http://www.welt.de/147254799) zu kämpfen, sondern nur gegen die IS-Miliz. Lücken im Sicherheitscheck Auch Ahmed bezeichnet das US-Projekt als Witz. In seinem eng anliegenden, grün-braunen Camouflage-T-Shirt sieht er wie ein amerikanischer Soldat aus. "Das musste scheitern, wenn ich nur an die Lücken im Sicherheitscheck denke", sagt er. "Die Überprüfung unserer Personalien dauerte eine Ewigkeit, aber am Ende stellte sich heraus, dass das ganze Programm unterwandert war." Nach der Hälfte des Trainings mitten in der heißen jordanischen Wüste in der Nähe von Akaba zogen ihn drei seiner Kameraden ins Vertrauen. Sie offenbarten ihm, dass sie bei der Nusra-Front gekämpft hatten und es noch sieben weitere Mitglieder der Al-Qaida-Gruppe im Kurs gab. "Sie haben sogar auf die Tafel im Klassenraum geschrieben "Lang lebe die Nusra-Front", erinnert sich Ahmed. Er habe die Vorgesetzten gewarnt und sei sogar befragt worden. "Aber Konsequenzen hatte das nicht", sagt er kopfschüttelnd. "Wie kann man das nur zulassen?" Für Ahmed war es dann kein Wunder, als die Nusra-Kämpfer zu den Ersten gehörten, die in Syrien davonliefen und alle ihre Waffen mitnahmen. "Sie haben uns danach verpfiffen", sagt der 21-Jährige. "Denn die Nusra-Front machte später Jagd auf uns und ist sogar zu einigen nach Hause in ihre Wohnungen gekommen, um sie festzunehmen." Woher sonst hätten die Kämpfer des Al-Qaida-Ablegers diese Informationen bekommen als von ihren eigenen Kämpfern bei der 30. Division? Ahmed und die 21 anderen verbliebenen Mitglieder der 30. Division mussten deshalb aus Syrien flüchten. Sonst wären sie heute wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Beim neuen Trainingsprogramm soll die Türkei die Überprüfung übernehmen. "Die können das besser", glaubt Abu Hassan. "Aber wir werden selbst die Kämpfer auswählen, damit eine Unterwanderung nicht mehr möglich ist." Radikale Islamisten hätten hier nichts verloren. Alle neuen Teilnehmer sollen aus moderaten Rebellengruppen stammen und möglichst mit einer Empfehlung kommen. Eine zahlenmäßige Vorgabe oder Beschränkung an Kämpfern gebe es bisher nicht. Die USA hatten ursprünglich jedes Jahr 5000 Rebellen für den Kampf gegen den IS trainieren wollen. Am Ende wurden es gerade einmal 129. "Das wird uns nicht wieder passieren", sagt Abu Hassan bestimmt. "Es wird eine schlagkräftige Truppe geben, und ganz bestimmt werden wir nicht nur einige Dutzend nach Syrien schicken, die für al-Qaida dann eine leichte Beute sind." Ahmed hat sich bereits
wieder gemeldet. Eine Geisel braucht er heute allerdings nicht mehr, denn
sein Vater ist mittlerweile frei. Er konnte nach 15 Monaten Folter-Martyrium
aus den Fängen des IS flüchten. Mit Gabeln hatten er und seine 92 Mitgefangenen
über zehn Tage lang den Mörtel am Fenster locker gemacht. Dann konnten
sie endlich das Fenster durchbrechen. Drei Wochen dauerte es, bis der
Vater in Frauenkleidern die türkische Grenze erreichte und in Sicherheit
war. Auf der Flucht habe es nur Gras und Wasser gegeben. "Jetzt geht
es mir darum, etwas für mein Land zu tun", sagt Ahmed.
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