Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2015 http://www.nzz.ch/international/deutschland-und-oesterreich/deutschland-wendet-sich-syrien-zu-1.18625555 Aussenpolitik in der Flüchtlingskrise Deutschland wendet sich Syrien zu Für die Bemühungen um eine Beilegung des Kriegs in Syrien gibt es auch in Berlin mehr Aufmerksamkeit. Ein Kurswechsel ist nicht ersichtlich – auch wenn einzelne Äusserungen so interpretiert wurden. von Markus Ackeret, Berlin «Mit Asad reden» – diese Worte wollte bis in den Spätsommer hinein weder ein amerikanischer noch ein westeuropäischer Politiker laut aussprechen. Um den Krieg in Syrien kümmerte sich Europa ohnehin nur dann, wenn gerade wieder neue Greueltaten bekanntwurden, die von Schergen des syrischen Regimes oder der Terrorgruppe Islamischer Staat begangen wurden. Im Hintergrund unterstützte die Politik die Vermittlungsbemühungen des nunmehr dritten Uno-Sondergesandten Staffan de Mistura. Angesichts vergangener Illusionen über ein schnelles Ende der Damaszener Regierung und der Hoffnungslosigkeit hielten sich Diplomaten und Politiker zurück. Die Flüchtlinge, die zu Hunderttausenden nach Europa kommen, haben die Lethargie beendet. Ein zweites Libyen vermeiden Die deutsche Aussenpolitik hatte sich in den vergangenen Monaten mit unermüdlichem Einsatz für ein Atomabkommen mit Iran eingesetzt. Sonst wurden die diplomatischen Anstrengungen besonders auf die Bewältigung des Krieges in der Ukraine und der Spannungen mit Russland gerichtet. Das Vordringen des Islamischen Staats im Nordirak hatte Berlin zwar vor einem Jahr zu Waffenhilfe für die bedrängten Kurden bewogen, was Deutschland nach dem Wiederaufflammen des bewaffneten Konflikts zwischen der türkischen Armee und den türkischen Kurden in eine ungemütliche Lage brachte. Alle Gewissensbisse und Zweifel an diplomatischen Bemühungen sind durch den Zustrom der syrischen Flüchtlinge nach Deutschland jedoch in den Hintergrund getreten. Aussenminister Frank-Walter Steinmeier besuchte nicht nur die Türkei, sondern traf sich am Rande der Uno-Generalversammlung auch mit regionalen Akteuren in dem syrischen Drama und natürlich mit den Vertretern der USA und Russlands, dessen Intervention in Syrien mit der europäischen Flüchtlingskrise zusammenfiel. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel vor zwei Wochen spätabends in Brüssel sagte, man müsse auch mit Asad reden, dem syrischen Machthaber, erschien das als Paradigmenwechsel der deutschen Syrien-Politik. Im Grunde sprach die Kanzlerin aber nur aus, was im Aussenministerium schon länger Leitlinie ist: Am Regime Asads kommt keiner vorbei. Aber das bedeutet nicht, dass Steinmeier oder Merkel demnächst zu Gesprächen nach Damaskus aufbrechen. Die Uno-Vermittler waren immer schon auch mit Asad und seiner Entourage im Gespräch. Das libysche Szenario, als mit der Ermordung Ghadhafis auch der letzte Rest an staatlicher Struktur zusammenbrach, wirkt abschreckend. Inwieweit aber das vom deutschen Aussenministerium immer wieder erwähnte syrische Staatswesen noch intakt genug ist, um den Übergang in einen Friedensprozess sicherzustellen, ist offen. Auch die Rolle des IS spricht niemand an. Lehren aus Europa Gerade der Erfolg beim Atomabkommen mit Iran wird in Berlin auf verschiedenen Ebenen als nutzbringend auch für die Beilegung des syrischen Kriegs gewertet. Zum einen hatte sich Moskau daran konstruktiv beteiligt – durch die jüngsten Entwicklungen rund um Syrien relativiert sich das allerdings. Zum andern steht Iran wieder als Verhandlungspartner zur Verfügung. Gerade wirtschaftlich hat Deutschland schneller als andere europäische Länder Teheran sofort umworben. Das Format der Verhandlungen – die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats mit Deutschland – wird als Basis für Syrien-Gespräche genannt, ergänzt um die Türkei, Iran und Saudiarabien. Die regionalen Animositäten zwischen Iran, den Golfmonarchien sowie Saudiarabien kann allerdings auch Berlin nicht einfach beenden. Bemerkenswert ist der Wille der deutschen Diplomatie, über reine Vermittlung hinaus Konzepte friedlicher Annäherung in die Region zu tragen. Der Konflikt zwischen Russland und dem Westen hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa neu belebt. Der ursprüngliche KSZE-Annäherungsprozess im Europa des Kalten Kriegs lässt sich zwar nicht auf den Nahen Osten übertragen. Die Vorstellung, dass unversöhnlich scheinende Positionen in einem gemeinsamen Rahmen zumindest thematisiert werden und dass dadurch Spannungen abgebaut werden können, wollen die Deutschen aber trotzdem an einer Konferenz in Amman vermitteln. Ein eigentlicher Kurswechsel der deutschen Aussenpolitik im Syrien-Konflikt ist mithin nicht erkennbar. Niemand in Berlin hat vor, Asad zu schützen, auch wenn nach Merkels Äusserungen sofort schäumende Kommentare zu lesen waren. Die hektischen diplomatischen Bemühungen haben angesichts der Flüchtlingsbewegungen etwas Opportunistisches. Der Sommer der Flüchtlinge hat aber auch das Bewusstsein dafür geschärft, dass Deutschlands Attraktivität eine aktive Aussenpolitik erfordert. Umso tragischer ist es, dass ausgerechnet jetzt wegen der Kämpfe um Kunduz der Erfolg der Bundeswehreinsätze in Afghanistan angezweifelt wird. So entsteht der fatale Eindruck, es wäre besser, sich gar nicht erst um die fernen Konflikte zu kümmern.
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