Stuttgarter Zeitung, 06.10.2015 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.print.c7b37718-5255-4bc5-bb0d-413e3f46caba.presentation.print.v2.html Kurdenkonflikt „Erdogan verbreitet eine Atmosphäre der Angst“ Von Knut Krohn Stuttgart - In der Türkei wird am 1. November ein neues Parlament gewählt – in einer unruhigen Zeit. Im Nachbarland Syrien herrscht Bürgerkrieg und das türkische Militär bekämpft im Osten des Landes die PKK. Der Vorsitzende der kurdisch geprägten Partei HDP, Selahattin Demirtas, wirft Staatschef Erdogan vor, den Konflikt mit den Kurden zu eskalieren, um so der islamisch-konservativen AKP eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen. Herr Demirtas, in den Kurdengebieten der Türkei kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen dem Militär und der PKK. Aus anderen Städten werden Ausschreitungen gegen Kurden gemeldet. Wie kann in solch einer aufgeladenen Situation ein Wahlkampf geführt werden? Die Situation ist sehr schwer und ich gehe nicht davon aus, dass wir unter diesen Umständen einen normalen Wahlkampf führen können. Aber in den großen Städten in der Türkei werden wir natürlich dennoch große Veranstaltungen abhalten, um unsere Wähler zu mobilisieren. Gegen Sie und Ihre Partei wird von der türkischen Staatsanwaltschaft ermittelt. Befürchten Sie, dass die HDP kurz vor der Wahl verboten werden könnte? Oder dass Sie selbst verhaftet werden? Nein, da haben wir keine Angst. All diese Ermittlungen sind rein politische Manöver. Gegen uns sind inzwischen mehr als 600 Verfahren eröffnet worden, das sind wir gewöhnt und wir kennen das. Gegenüber der HDP gibt es im Moment kein Verbotsverfahren. Die islamisch-konservative
Regierungspartei AKP versucht die HDP immer wieder in die Nähe des Terrorismus
zu rücken. Es heißt, die Kurden-Partei sei der verlängerte Arm der verbotenen
PKK. Schadet die PKK mit ihrem bewaffneten Kampf den politischen Zielen der HDP? Ich glaube nicht, dass die PKK sich vorgenommen hat, uns zu schaden. Tatsache ist, dass es allen Menschen schadet, wenn es Tod und Krieg gibt. Sie betonen immer wieder, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Konflikt befördert. Wie tut er das? Erdogan verbreitet
in der Türkei eine Atmosphäre der Angst, der Unsicherheit und des Krieges.
Dafür gibt es mehrere Beispiele: In einer Nacht werden von der türkischen
Luftwaffe manchmal bis zu 400 Angriffe gegen Kurden geflogen. In den Städten
gibt es immer wieder brutale Aktionen der Polizei. Abdullah Öcalan ist
isoliert, seit Monaten gibt es keine Nachrichten mehr von ihm. Darüber
hinaus sind die Worte Erdogans gegenüber den Kurden sehr deutlich. Er
sagt: Wir werden erst aufhören zu kämpfen, wenn der letzte Terrorist getötet
ist.
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