junge Welt, 09.10.2015

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Ankaras geheimer Krieg

In der Provinz Hatay ist die Unterstützung dschihadistischer Milizen durch die türkische Regierung zu beobachten

Von Thomas Eipeldauer/Willi Effenberger, Hatay

Seit Russland in den vergangenen Wochen sein militärisches Engagement in Syrien ausgebaut hat, sind die Töne, die aus Ankara zu hören sind, schärfer geworden. »Wenn Russland einen Freund wie die Türkei verliert, mit dem es eine Reihe von Kooperationen verbinden, verliert es eine Menge«, drohte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Anfang dieser Woche. »Russland sollte das einsehen.« Ein russischer Kampfjet, der während eines Einsatzes in Syrien die Grenze zum türkischen Luftraum verletzte, wurde zur Umkehr gezwungen. »Ein Angriff auf die Türkei ist ein Angriff auf die gesamte NATO«, kommentierte Erdogan, und Premierminister Ahmet Davutoglu sekundierte: »Die türkischen Streitkräfte sind instruiert worden. Auch wenn es nur ein Vogel ist: Was auch immer den türkischen Luftraum verletzt, wird mit den notwendigen Konsequenzen zu rechnen haben.«

Der Grund für die harsche Reaktion Ankaras liegt in geopolitischen Differenzen mit der russischen Regierung. Während Erdogan und seine Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) kompromisslos für einen Regime-Change in Damaskus eintreten und zu diesem Zweck diverse oppositionelle Milizen im südlichen Nachbarland unterstützen, sieht der russische Präsident Wladimir Putin in Baschar Al-Assad eine konsequente Kraft gegen islamistische Terrorgruppen.

Zu letzteren pflegt die Türkei im Geheimen innige Beziehungen. Diese kann aus nächster Nähe beobachten, wer in den Süden des NATO-Landes, nach Hatay fährt. Die Bewohner der Provinz, die unmittelbar an Syrien grenzt und die zu dem Nachbarn enge kulturelle Verbindungen hat, beobachten seit Kriegsbeginn die Unterstützung Ankaras für dschihadistische Milizen. Gerade in Hatay, wo arabische Alawiten, Kurden, Christen und andere ethnische und religiöse Minderheiten leben, sehen viele diese Verbindung zwischen der AKP-Regierung und den islamistischen Gruppen in Syrien als Gefahr.

Insbesondere die Alawiten, die bei Gruppen wie dem »Islamischen Staat« oder der Al-Nusra-Front besonders verhasst sind, befürchten Übergriffe. Einer von ihnen ist Meric, ein 24jähriger Student aus der Provinzhauptstadt Antakya. »Wie schon bei den Gezi-Protesten ist der Staat auch im Syrien-Krieg auf der Seite der Mörder«, erklärt er. Er habe eine Form der Unterstützung der türkischen Regierung für den Dschihad in Syrien mit eigenen Augen beobachtet. Als sein Bruder in das Defne-Krankenhaus in Antakya eingeliefert wurde, konnte er bei Besuchen die Behandlung von Militanten aus Syrien sehen. »Die konnten kommen und gehen, wie sie wollten, und wurden hier medizinisch versorgt. Einer wurde schwer verletzt auf einer Liege an mir vorbeigeschoben, er hatte noch seinen Kampfanzug an. Während er den Gang entlang geschoben wurde, fiel eine Handgranate aus einer seiner Taschen.« In der Region sei auch allgemein bekannt, dass der türkische Staat die Kämpfer in Syrien »mit Waffen und Munition versorgt, die mit Krankenwagen über die Grenze gebracht werden«.

Die Behandlung von Kombattanten aus dem syrischen Bürgerkrieg bestätigt gegenüber jW auch ein Arzt aus dem Staatskrankenhaus in der Stadt Reyhanli. Seinen Namen will er aus Angst nicht nennen, aber er berichtet, selbst Dschihadisten behandelt zu haben. »Wir haben viele Patienten, die aus Syrien gekommen sind, viele von ihnen mit Schussverletzungen oder anderen Wunden, die aus Kampfhandlungen zu stammen schienen.« Allerdings: Es waren keineswegs nur Syrer, sondern oft Kämpfer »aus anderen Ländern«. Ein Teil von ihnen war zu schwer verletzt, um die Klinik zu verlassen, der »andere Teil ist nach der Behandlung zurück nach Syrien gegangen, um zu kämpfen«.

Auf die Frage, ob die türkische Regierung etwas in dieser Sache unternehme, antwortet er: »Nein, ganz im Gegenteil. Die Regierung unterstützt die sogenannte Opposition ganz offenkundig.«

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Unterstützung aus dem Ausland

In Syrien ist man überzeugt von der Mittäterschaft Ankaras bei der Eskalation des Krieges. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe die Grenze »für die Terrorbanden zu ihrer finanziellen und logistischen Unterstützung geöffnet«, erzählt Mihrac Ural, Anführer einer lokalen Miliz, den Mukaveme Suriyyi, die an der Seite der syrischen Regierung kämpft, gegenüber jW.

Bei den »Terroristen«, die seine Gruppe getötet habe, habe man Munition und Ausrüstung gefunden, die aus anderen Ländern kam: »Vor allem Lebensmittel hatten ihren Ursprung in der Türkei. Die Mörsergranaten wurde in Konya (Türkei) hergestellt und die Sprengfallen wurden alle in der Türkei produziert. Dass die militärischen Uniformen und die Ausrüstung unter anderem aus Saudi-Arabien, Frankreich und der Türkei kamen, war an den Fabrikationsetiketten zu erkennen.« Die Türkei greife zur Verwirklichung neoosmanischer Ambitionen »auf die Hilfe der Terrorbanden Al-Nusra, IS oder Freie Syrische Armee zurück. Sie beliefern sie mit Waffen, schützen sie und lenken sie.«

Wie weit die Unterstützung antisyrischer Milizen durch Ankara tatsächlich geht, lässt sich nur erahnen. Fakt ist, dass in den vergangenen Jahren mehrfach illegale Lieferungen von Rüstungsgütern aufgeflogen sind und die zeitweilige Öffnung von Grenzübergängen für Dschihadisten durch zahllose Augenzeugenberichte belegt ist. Politisch macht sich die Türkei ohnehin seit langem für die syrische Opposition stark. Derzeit fordert Erdogan auch in Gesprächen mit EU-Politikern wieder die Einrichtung von »Pufferzonen« auf syrischem Territorium, die von der türkischen Luftwaffe und »moderaten« Rebellen gehalten werden soll.