welt.de, 09.10.2015

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Obama gesteht Scheitern der Syrien-Strategie ein

Die US-Regierung beendet den erfolglosen Versuch, gemäßigte Rebellen in Syrien für den Kampf gegen den Islamischen Staat auszubilden. Jetzt wird ein neuer Plan diskutiert – voller Hindernisse. Von Ansgar Graw

Erst gestand er ein, keine Strategie zu haben. Dann präsentierte er das "Syrien-Programm für Training und Ausbildung". Und jetzt, nur zehn Monate später, beerdigt Barack Obama den Plan, der eine halbe Milliarde Dollar für das Training und die Ausrüstung von 15.000 gemäßigten syrischen Rebellen vorsah gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Damit zog der Präsident der USA die Konsequenzen aus dem offenkundigen Scheitern der Anstrengungen des Pentagons auf diesem Gebiet.

Binnen drei Jahren sollte die komplette Truppe stehen. Bis Ende 2015 hatte die US-Regierung eine Mannschaftsstärke von immerhin 5400 Kämpfern angekündigt. Doch im September wurde eine desaströse Zwischenbilanz gezogen: Nachdem 60 der in der Türkei von US-Offizieren ausgebildeten und gewissermaßen als nicht fundamentalistisch zertifizierten Kämpfer im August in einen Hinterhalt der Al-Nusra-Front geraten waren, standen im September vorübergehend nur noch "vier oder fünf" ihrer Kameraden unter Waffen.

Kurz darauf musste das Pentagon einräumen, dass einige der rekrutierten Kämpfer zu islamistischen Einheiten übergelaufen waren – es war nicht mehr zu leugnen. Auch Waffen, die von den USA an die Rebellen übergeben wurden, waren in falsche Hände geraten. Einige Kämpfer hatten sechs amerikanische Militär-Trucks mit montierten Maschinengewehren unmittelbar nach ihrer Ankunft in Syrien an Al-Qaida-Verbündete weitergegeben – und zwar just an jene Al-Nusra-Front, die ihre Kameraden zuvor getötet oder in die Flucht geschlagen hatte. Im Gegenzug sollen die Islamisten den US-"Hilfstruppen" Operationsfreiheit im Norden des Landes zugesichert haben.

US-Verteidigungsminister Ashton Carter erklärte am Freitag, anstelle des Trainings- und Ausbildungsprogramms wollten die USA künftig die Zusammenarbeit mit Kurden und arabischen Kräften in Syrien intensivieren. Bei einer Pressekonferenz in London sagte der Minister: "Die Arbeit, die wir mit den Kurden im nördlichen Syrien geleistet haben, ist ein Beispiel für ein effektives Vorgehen."

Exakt dieses Konzept wolle man weiterverfolgen und auf andere Gruppen in Syrien ausweiten. Carter nannte keine Einzelheiten. Der zentrale Unterschied zum nunmehr aufgegebenen Programm ist: Nicht mehr die einzelnen Soldaten werden trainiert, sondern deren Offiziere sollen von US-Militärs geschult und mit Kommunikationstechnologie ausgerüstet werden. Damit, so die Hoffnung, identifizieren sie IS-Ziele, die dann von der US-geführten westlich-arabischen Allianz mit Luftschlägen attackiert werden sollen.

Washingtons wichtigster Verbündeter unter den Kurden sind die "Volksverteidigungs-Einheiten" (YPG). Sie werden vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit Misstrauen gesehen. Ankara bleibt aber ein zentraler Partner, um den Krieg in Syrien zu beenden.

Streit über Entstehung der Trainingsidee

Auch darum erscheint der neue Ansatz zunächst als hilfloser Versuch der Obama-Administration, der Öffentlichkeit zu suggerieren, man habe überhaupt so etwas wie eine Strategie. Im Hintergrund beginnt derweil ein Streit zwischen dem Weißen Haus und dem Pentagon. Obama sei wegen seiner Zweifel an den Erfolgsaussichten nie für das Ausbildungsprogramm gewesen und habe sich nur vom Verteidigungsministerium dahin drängen lassen, heißt es aus der Umgebung des Präsidenten. Im Pentagon wiederum wird diese Genese des Plans bestritten.

Verbürgt ist in jedem Fall, dass Obama frühzeitig die Idee ablehnte, durch die Unterstützung gemäßigter syrischer Rebellen könne der syrische Machthaber Baschar al-Assad gestürzt und das Land stabilisiert werden. Das sei immer eine "Fantasie" gewesen, antwortete Obama im August 2014 (Link: http://mobile.nytimes.com/2014/08/09/opinion/president-obama-thomas-l-friedman-iraq-and-world-affairs.html?_r=4&referrer=) auf Fragen des "New York Times"-Publizisten Thomas L. Friedman. Denn die Opposition aus "früheren Ärzten, Bauern, Apothekern und so weiter" stünde gegen einen "schwer bewaffneten Staat, der Rückendeckung hat von Russland, vom Iran, von der kampferprobten Hisbollah". Einen Monat später gestand Obama auf einer Pressekonferenz ein: "Wir haben noch keine Strategie."

Als dann das 500-Millionen-Dollar-Programm entwickelt wurde, meldete auch der Kongress massive Vorbehalte an. 90 Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat votierten gegen ihren Parteifreund Obama. Es wurde dennoch beschlossen, und der Präsident pries es nunmehr als "beste Option, um IS zu zerstören, ohne amerikanische Truppen in einem weiteren Bodeneinsatz im Nahen Osten kämpfen zu lassen".

Von Beginn an hatte das Ausbildungsprogramm eine klare Schwäche: Die von den USA trainierten Aufständischen sollten nur gegen IS kämpfen, nicht aber gegen die Truppen des Assad-Regimes. Doch die wenigsten Rebellen waren zu keiner derart klaren Frontstellung bereit. Zu groß ist ihr Hass auf Assad, der vor dreieinhalb Jahren auf friedliche Demonstranten hatte schießen lassen.

Das führte zum Bürgerkrieg, der inzwischen 250.000 Tote und Millionen Flüchtlinge hervorbrachte. Auch die USA verlangen darum Assads Sturz. Doch dem Vorwurf, Rebellen gegen ihn ausgerüstet zu haben, wollen sie sich aus völkerrechtlichen Erwägungen nicht aussetzen.

Das Eingeständnis des Scheitern mit dem Ausbildungsprogramm ist ein weiterer Tiefschlag für Obama. Der Präsident hat seit Anbeginn in der Syrien-Politik sprunghaft, unentschlossen und glücklos agiert. Er zeigte Assad rote Linien auf, vor allem hinsichtlich des Einsatzes von Giftgas, verzichtete aber auf martialisch angekündigte Militärschläge, als ihm der Kongress den Rückhalt verweigerte.

Im vergangenen Monat drängte zudem der russische Präsident Wladimir Putin (Link: http://www.welt.de/themen/wladimir-putin/) auf das syrische Kampffeld. Russische Militärs haben nach eigenen Angaben vor allem IS-Einheiten ins Visier genommen, attackieren nach Angaben westlicher Dienste aber auch alle anderen Rebellengruppen, die Assad bekämpfen.