Neue Zürcher Zeitung, 10.10.2015

http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/usa-gestehen-scheitern-in-syrien-ein-1.18627473

Bildung einer Rebellentruppe abgeblasen

USA gestehen Scheitern in Syrien ein

Ein wichtiger Pfeiler in Obamas Syrien-Strategie hat nicht funktioniert. Doch ein grundlegendes Umdenken findet nicht statt.

von Peter Winkler, Washington

Die USA geben ihren Versuch auf, eine syrische Truppe zur Bekämpfung der fundamentalistischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aufzubauen. Stattdessen wollen sie künftig bereits bestehende Formationen sowohl mit Waffen als auch mit der Ausbildung von Befehlshabern unterstützen. Die Regierung in Washington zieht damit die Konsequenzen aus einem weitgehend gescheiterten Programm, mit dem für 500 Millionen Dollar mehr als 15 000 syrische Kämpfer zu einer schlagkräftigen Truppe geformt werden sollte.

Kobane als Vorbild

In einem Hintergrundgespräch erklärten Vertreter der Regierung Obama, man wolle sich künftig an jenen Mustern orientieren, die im Kampf gegen den IS auf dem Schlachtfeld sichtbare Erfolge gebracht hätten. Als Beispiel nannten sie die Zusammenarbeit mit den kurdischen Volksverteidigungskräften (YPG) in der Schlacht um die syrische Grenzstadt Kobane (Ain al-Arab) zu Jahresbeginn.

Statt ganze Rebellenverbände vom Schlachtfeld zu nehmen, in der Türkei auszubilden und dann wieder nach Syrien zurückzuschicken, wollen die USA künftig ausgewählte arabische und kurdische Truppen vor allem mit Waffen, Munition und Kommunikationsmitteln ausrüsten. Zudem sollen die Kader gezielt ausgebildet werden.

Entgegen früheren Berichten, wonach sie darin trainiert werden sollen, Luftangriffe anzufordern, soll die Ausbildung auch andere taktische und operative Fähigkeiten abdecken. Das neue Programm soll in wenigen Tagen beginnen, die Ausbildung ganzer Verbände hingegen soll auf Eis gelegt werden. Jene Syrer, die ihre Ausbildung bereits begonnen hätten, könnten diese noch abschliessen, hiess es in Washington.

Die amerikanischen Regierungsvertreter waren bemüht, diese Neuausrichtung als natürliche Etappe in einem Prozess darzustellen, der ständig überprüft und an die Entwicklungen angepasst werde. Sie ist allerdings auch ein klares Eingeständnis, dass Obamas Strategie zur Bekämpfung des IS – Luftangriffe einer Koalition von Willigen mit der US Air Force im Zentrum, Aufbau einer schlagkräftigen Bodentruppe und die strikte Beschränkung auf das Bekämpfen des IS – einfach nicht aufging.

Offiziell wird das Diktat, nur Stellungen des IS anzugreifen, nicht aufgegeben. Doch die Amerikaner wissen ganz genau, dass es schwieriger sein wird, die bestehenden Kampfgruppen daran zu hindern, auch die syrische Armee anzugreifen. Diese ist ja für bedeutend mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung verantwortlich als die islamistischen Mörder.

Bereits zuvor hatte Verteidigungsminister Ashton Carter während eines Besuchs in London die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Kurden im Norden Syriens als erfolgversprechenderes Vorgehen gelobt. Laut den anonymen Beamten soll sich diese Zusammenarbeit auf alle infrage kommenden kurdischen und arabischen Rebellengruppen ausdehnen. Das unmittelbare Ziel ist, Rückeroberungsversuche des IS im Norden Syriens abzuwehren. In einem zweiten Schritt soll der Terrormiliz der Zugang zur türkischen Grenze – eine wichtige Nachschublinie – unterbunden werden.

Putins Schwäche

Der amerikanische Präsident scheint auf das russische Eingreifen in das syrischen Kriegsgeschehen nicht gross reagieren zu wollen. Das macht ein im Voraus veröffentlichtes Interview im Nachrichtenmagazin «60 Minutes» des Fernsehsenders CBS deutlich. Barack Obama legt darin dar, warum er Wladimir Putins Intervention in Syrien als Zeichen der Schwäche deutet: Statt sich auf seinen einzigen Verbündeten in der Region verlassen zu können, habe Putin seinen Militärapparat in Bewegung setzen müssen, um diesen vor dem Untergang zu bewahren.