Neues Deutschland, 10.10.2015 http://www.neues-deutschland.de/artikel/987340.anschlag-gegen-den-frieden.html Von Ismail Küpeli Anschlag gegen den Frieden Diyarbakir, Suruc, Ankara - die Liste von Anschlägen gegen friedliche und demokratische Kräfte in der Türkei wird länger Über 85 Tote und über 185 Verletzte - das ist die blutige Bilanz des Anschlags in Ankara gegen eine Friedensdemonstration linker Organisationen und Gewerkschaften. Noch ist nicht bekannt, wer hinter der Tat steckt. Dagegen ist recht offensichtlich, welche Wirkung der Terror entfalten soll: eine weitere Eskalation im gegenwärtigen Bürgerkrieg in der Türkei. Diyarbakir, Suruc, Ankara – die Liste von Anschlägen gegen friedliche und demokratische Kräfte in der Türkei wird länger. In einer augenfälligen Übereinstimmung richteten sich alle drei Anschläge gegen Bemühungen, den »Kurdenkonflikt« in der Türkei auf dem friedliche Wege zu lösen. Insbesondere der Anschlag von Suruc am 22. Juli hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dass der de facto existierende Waffenstillstand zwischen der Türkei und der PKK zusammengebrochen ist und seitdem der offene Bürgerkrieg wieder zurückgekehrt ist. Zu der Demonstration in Ankara am Samstag wurde von dem »Friedensblock« (Baris Blogu) mobilisiert, einem Bündnis von HDP, anderen linken Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen. Die Aktion sollte der Forderung nach einem Ende des Krieges eine starke Stimme verleihen. Der Bündnis um die linke HDP drängt seit dem Ausbruch des Krieges die Konfliktparteien zu einer friedlichen Lösung. Dazu fanden bereits zahlreiche Demonstrationen statt, an denen zehntausende Menschen teilnahmen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen innerhalb des »Friedensblocks«, insbesondere die Menschenrechts-NGOs, protestieren seit Wochen gegen die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und prangern die Kriegsverbrechen an der kurdischen Zivilbevölkerung an. Die türkischen Sicherheitskräfte gehen inzwischen brutal gegen den kurdischen Widerstand vor, täglich sind zivile Opfer zu beklagen. Die Angriffe der türkischen Polizei und der Armee in kurdisch geprägten Städten wie etwa Cizre oder Silvan forderten dutzende Opfer. Dabei setzte die Armee immer wieder auch Artillerie und Scharfschützen gegen Zivilisten ein. Insgesamt wurden in den bewaffneten Auseinandersetzungen bisher über 110 Zivilisten getötet. Der Ansatz des »Friedensblocks« besteht also einerseits in einer Kampagne mit der Forderung nach einem Ende des Krieges gegen Linke, Kurden und Zivilisten. Und andererseits soll erreicht werden, dass die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen erfasst und publik gemacht werden. Die AKP-Regierung geht gegen die Aktivitäten des »Friedensblocks« seit Wochen repressiv vor. MenschenrechtsaktivistInnen werden festgenommen oder oppositionelle Medien mundtot gemacht. Der Anschlag in Ankara kommt zu einem denkwürdigen Zeitpunkt. Die PKK wollte ursprünglich am Sonntag einen begrenzten Waffenstillstand ankündigen - dieser solle bis zu den Neuwahlen am 1. November andauern. In der letzten Zeit gab es zahlreiche Aufrufe von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die von den Kriegsparteien eine Waffenruhe forderten, damit die Neuwahlen stattfinden können. Während die Regierungspartei AKP solche Forderungen zurückgewiesen hatte, war die PKK bereit, Angriffe und offensive Aktionen zu unterlassen. Man wolle nur noch zu den Waffen greifen, hieß es, wenn man selbst angegriffen werde. Ein Tag bevor die Bekanntgabe des einseitigen Waffenstillstands der PKK explodierten nun in Ankara die Bomben. Auch wenn bisher die Täter nicht bekannt sind, kann angenommen werden, dass der Anschlag auf linke und kurdische Kräfte eine politische Wirkung entfalten sollte - es ging um Provokation, damit die PKK doch nicht die Waffen ruhen lässt. Die unmittelbaren Reaktionen auf den Anschlag sprechen im Übrigen für sich: Während die türkische Polizei die Opfer des Anschlags mit Tränengas und Wasserwerfer attackierte und AKP-Politiker bar jeglicher Logik die linke HDP mitverantwortlich für den Anschlag machte, zog die PKK die Bekanntgabe der Waffenruhe vor und erklärte kurz nach dem Anschlag, dass sie auf Angriffe verzichten wolle. Allerdings lassen die bisherigen
Äußerungen der AKP nicht darauf hoffen, dass die türkische Regierung die
einseitige Waffenstillstandserklärung der PKK dazu nutzen wird, zu einer
tatsächlichen Waffenruhe in der Türkei zu kommen. Ganz im Gegenteil ist
zu befürchten, dass Staatspräsident Erdogan und die Regierungspartei AKP
weiter die Lage in der Türkei eskalieren lassen, damit die Neuwahlen am
1. November eben nicht frei und fair verlaufen werden – weil alle Wahlprognosen
darauf deuten, dass die AKP über »normale« Wahlen keine alleinige Mehrheit
erringen wird.
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