junge Welt, 12.10.2015

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Unverdächtige Partner

Nach dem Blutbad in Ankara

Von Peter Schaber

Es gebe vier Gruppen, die in der Lage seien, Bombenattentate wie jenes, das am Wochenende Ankara erschütterte, durchzuführen, will der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu wissen. Welche »Organisationen« die Kapazitäten für so etwas besitzen, sei »offenkundig«. Die Aufzählung, die der AKP-Politiker dann präsentiert, hat es in sich. Neben dem »Islamischen Staat« nennt er drei linke Organisationen: die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKP-C) und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP). Man stutzt. Meint er das ernst? Besitzt der Mann wirklich die Dreistigkeit, unmittelbar nachdem mehr als hundert linke Demonstranten von Bomben in Fetzen gerissen oder verstümmelt worden sind, die Opfer zu Tätern zu machen? Weiter noch geht der Bürgermeister der türkischen Hauptstadt, Ibrahim Melih Gökçek. Der Parteifreund Davutoglus und Recep Tayyip Erdogans meldet sich nach der Bluttat mit der Einschätzung zu Wort, dass »zu hundert Prozent« die PKK den Anschlag durchgeführt habe.

Davutoglus Aufzählung ist unvollständig. Sie verschweigt die größte »Organisation», die dazu in der Lage wäre – und im Unterschied zu PKK, DHKP-C oder MLKP auch ein Motiv hätte: den türkischen Staat selbst. Schon die beiden letzten Attentate auf türkische und kurdische Linke in Diyarbakir im Juni und in Suruç im Juli dieses Jahres trugen die Handschrift der Clique um Staatspräsident Erdogan, der um seinen Machterhalt fürchtet. Restlos aufgeklärt wurden sie bisher nicht.

Der türkische Staat und sein Geheimdienst MIT sind durchaus in der Lage und willens, Attentate unter falscher Flagge anzuleiten und durchzuführen. Für einen Anfangsverdacht gegen die AKP-Regierung reichen die Indizien allemal. Ihr ist daran gelegen, eine Atmosphäre der Angst zu schaffen, in der Parlamentswahlen entweder gar nicht erst stattfinden oder der Ruf nach einem »starken Mann«, Erdogan, laut wird. Dass zudem Anhänger der Regierungspartei, wenn es um die Einschüchterung der Opposition geht, auch vor Gewalttaten nicht zurückschrecken, zeigte vor kurzem der Angriff eines Lynchmobs unter Beteiligung von AKP-Parlamentariern auf das Büro der Tageszeitung Hürriyet. Und dass der Geheimdienst False-Flag- Attacken zu seinem Repertoire zählt, ist in einem 2014 geleakten Audiomitschnitt festgehalten, auf dem sich Davutoglu (damals noch Außenminister) und MIT-Chef Hakan Fidan über die Schaffung eines Kriegsgrundes gegen Syrien unterhalten.

Die Frage nach einer Beteiligung staatlicher Stellen an dem Angriff wird im Ausland allerdings nicht gestellt. Staatstragende Medien wie etwa der Spiegel wiederholen brav die Aufzählung der »Terrorgruppen«, wie sie Davutoglu vorgegeben hat. US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel sprechen »der türkischen Regierung« ihr Beileid aus, ganz so, als hätte es diese getroffen und nicht deren Kritiker. Denn Erdogan und Davutoglu sind »Partner«. Und denen erspart man diese unangenehmen Fragen lieber.