freitag.de, 12.10.2015

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Ian Black

Ausgabe 4115 | 12.10.2015

Schutzmacht der Schiiten

Syrien

Mit dem russischen Eingreifen verliert der Iran keineswegs an Einfluss im Bürgerkriegsland
Schutzmacht der Schiiten

Die iranische Botschaft im Stadtteil Mezze von Damaskus bietet einen beeindruckenden Anblick. Die Fassade ist mit aufwendig verzierten Keramikfliesen verkleidet, das Dach strotzt nur so von Antennen. Das Gebäude wird von Sicherheitsmännern mit Maschinengewehren bewacht, und zusätzlich von einem hohen, mit Erde aufgefüllten Schutzwall, der etwas ungeschickt in die belebte Hauptstraße hinausragt.

Das Missionsgebäude ist ein sichtbares Zeichen für die Präsenz der Islamischen Republik in Syrien, deren ökonomischer, politischer und militärischer Beistand für Präsident Baschar al-Assad ein existenzieller Gewinn. Daran ändert auch das russische Engagement nur wenig. „Das syrische Regime bleibt auf den Iran angewiesen“, erklärt ein westlicher Diplomat. „Der Fußabdruck Teherans wird größer.“

Iran vertrete grundsätzlich die Position, sagt Botschafter Mohammed Reza Shaybani in seinem eleganten Büro, dass Syriens nationale Souveränität und territoriale Integrität respektiert werden müssten. Der Iran mische sich nicht in innere Angelegenheiten ein. „Unsere Beziehungen sind historischer und strategischer Natur. Unsere Rolle beschränkt sich auf Konsultationen mit der Regierung Assad, um den Terrorismus zu bekämpfen.“

Der wortgewandte Shaybani, der sich auf Englisch ebenso distinguiert ausdrücken kann wie auf Arabisch, verweist mit Nachdruck darauf, welch konstruktive Haltung seine Regierung seit dem Durchbruch bei den Atomverhandlungen im Juli gezeigt habe. Es geht für den Iran um eine Rückkehr zu internationaler Respektabilität nach Jahren der Isolation. „Wir beraten die syrische Regierung und Armee. Es ist ganz natürlich, dass wir dazu die Lage vor Ort in Augenschein nehmen müssen. Militärberater sollten eine klare Vorstellung davon haben, wie sich die Lage auf dem Schlachtfeld darstellt. Das heißt nicht, dass wir viele Soldaten in Syrien hätten.“
Geisterhaftes Dasein

Gesicherte Erkenntnisse sind schwer zu erhalten, doch stimmen viele Analysten darin überein, dass Irans direktes Eingreifen eher moderat ausfällt. Es wird von der elitären Quds-Einheit der Revolutionsgarden getragen und auf einige hundert Mann geschätzt. General Qassem Suleimani, Kommandant dieser Formation, war jüngst in der Gegend von Idlib, um eine Offensive gegen Rebellenverbände zu koordinieren.

Außerhalb ihrer Botschaft halten sich die Iraner sehr viel stärker bedeckt als russische Militärs, die neben der Marinebasis in Tartus ihren Fußabdruck durch Luftangriffe nicht nur auf IS-Kämpfer, sondern auch auf andere oppositionelle Gruppen gerade gewaltig vergrößern. Die USA werfen Moskau vor, dass auch moderate Kräfte und Zivilisten Opfer der ersten russischen Bombenangriffe in der vergangenen Woche geworden seien.

Manchmal sieht man durchtrainiert wirkende Iraner beim Überqueren der Grenze zum Libanon, die den Grenzbeamten stapelweise Pässe aus dem Autofenster reichen, ohne ihre Fahrzeuge verlassen zu müssen – das sichere Zeichen für einen VIP-Status. „Die Iraner sind da, und sie sind nicht da“, sagt ein sunnitischer Geschäftsmann aus Homs. „Sie führen ein geisterhaftes Dasein.“ Es wird viel darüber spekuliert, doch viele Syrer sind sich einig, dass die Iraner eine äußerst wichtige Rolle spielen – auch wenn die undurchsichtig ist.

So viel gilt als sicher: Teheran erhält Assad seit Beginn des Bürgerkrieges im März 2011 mit Krediten in Milliardenhöhe für den Import von Öl und anderen Waren finanziell am Leben. Zugleich gibt es eine Assistenz bei den Nationalen Verteidigungskräften (NDF), den auf lokaler Ebene angesiedelten Milizen außerhalb der regulären Armee, die wegen Korruption und ihrer Brutalität im Zwielicht stehen. Inzwischen soll der Iran seine Zahlungen an diese Paramilitärs eingestellt und so zum steigenden militärischen Druck auf die syrische Regierung beigetragen haben, wie Präsident Assad im Juli bei einem öffentlichen Auftritt selbst einräumte.

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern gehen auf Hilfen Syriens für die Islamische Revolution von 1979 zurück. Präsident Hafez al-Assad, Baschars Vater, unterstützte den Iran zudem während des aufreibenden Krieges gegen den Irak in den Jahren 1980 bis 1988. Dennoch ist Russland für ein entschieden säkulares Land wie Syrien der naheliegendere Verbündete. Wodka sei dem Magen zuträglicher als die strenge Religiosität der Iraner, meint ein ausländischer Beobachter in Damaskus. Wie sich Moskau gerade exponiere, sei auch einem gewissen Unbehagen über den iranischen Einfluss in Syrien geschuldet.

Wie schon im Vorjahr bei der Belagerung der zentralsyrischen Stadt Homs haben iranische Offizielle zusammen mit Vertretern der Hisbollah jüngst direkt über eine Waffenruhe in der strategisch wichtigen Stadt Zabadani nahe der libanesischen Grenze verhandelt. Die aufständischen Kämpfer dort gehören zur Ahrar al-Sham, einer sunnitischen Islamistengruppe, die von der Türkei unterhalten wird.
Auf eigene Faust

Weiter nördlich, in der Provinz Idlib, belagern Männer von Ahrar al-Sham die Schiiten-Dörfer Foua und Kafary. Daraufhin haben die Iraner einen sunnitisch-schiitischen Bevölkerungsaustausch vorgeschlagen und wollen dort lebende Glaubensbrüder in der Gegend um den von Schiiten auf der ganzen Welt verehrten Schrein Zainab bint Alis in Damaskus ansiedeln. Für misstrauische Syrer klingt das wie ein Plan, die Hisbollah-Hochburg im Süden von Beirut zu kopieren und konfessionell homogene Gebiete zu schaffen. Dabei lässt die Art und Weise, wie die Iraner in der Zabadani-Krise agieren, auf einen Strategiewechsel schließen. Sie verhandeln mittlerweile selbst und tun dies entweder im Namen Assads oder übergehen ihn einfach, um ihre Interessen direkt zu vertreten.

In Damaskus machen Gerüchte die Runde, wonach im Bezirk Mezze Land beschlagnahmt wurde, um darauf ein iranisches Wohnprojekt sowie eine neue, direkt am Stadtzentrum gelegene Botschaft zu bauen. Es heißt, Iraner würden oft anonym Grundstücke in bester Lage aufkaufen, was viel mit ökonomischer Macht zu tun habe. Im Jahr 2014 kamen 35 Prozent aller syrischen Importe aus der Islamischen Republik. Zugleich sind viele von der Regierung in Damaskus ausgeschriebene Aufträge nur noch für iranische Firmen offen. „Syrien wird an die Iraner verkauft“, klagt der Bewohner eines besseren Viertels von Damaskus. Eine grassierende Paranoia trägt ihren Teil zu dieser Debatte bei und wird vom Anti-Assad-Lager nur allzu bereitwillig genährt. Manche versteigen sich gar zu der Behauptung, Syrien sei vom Iran besetzt.

Mitglieder der kleinen syrischen Schiiten-Gemeinde, die sich von den Alawiten der Assad-Familie unterscheidet, mahnen dazu, zwischen den nationalen und strategischen Interessen Teherans auf der einen und Irans Rolle als geistiges Zentrum des schiitischen Glaubens zu unterscheiden. Doch wenn man durch al-Amin geht, das schiitische Viertel der Damaszener Altstadt, wo die Fassaden mit Postern zum Gedenken an die Toten von Kampfeinheiten mit klingenden religiösen Namen wie Fatemiyoun oder Sayyida-Ruqayya-Märtyrerbrigade bedeckt sind, kommt einem die Unterscheidung recht unbedeutend vor.

Die Aufregung wegen einer schiitischen Prozession an einer sunnitischen Moschee vorbei sei übertrieben, glaubt der schiitische Journalist Maher Ashqar. Er räumt jedoch ein, dass die Spannungen zwischen den Religionsgruppen zunehmen – das fache den Bürgerkrieg stets neu an.

Auch wenn die Iraner international wieder an Vertrauen gewinnen, dürfte es ihnen nicht gelingen, gegen Staatschef Assad gerichtete Syrer von ihren guten Absichten zu überzeugen. „Je mehr die Iraner von Syriens Souveränität sprechen, desto mehr verletzen sie diese“, sagt Ibrahim Hamidi, ein syrischer Journalist, der für die in London ansässige Zeitung Al-Hayat arbeitet. „Und je mehr sie von nationaler Identität reden, desto mehr fördern sie Ersatz-Identitäten. Je mehr sie davon sprechen, den IS zu bekämpfen, desto mehr provozieren sie ihn. Die Iraner versuchen, in Syrien die gleiche Rolle zu spielen wie Syrien einst im Libanon: Sie machen bestimmte Gruppen von sich abhängig und sorgen selbst für die Balance zwischen den verschiedenen Machtzentren. Das führt zu einem Parallel-Regime mit eigenen Milizen, eigenen Geschäftsleuten, eigenen gesellschaftlichen Strukturen.“

Doch auch der Iran bekommt nicht immer, was er will. Der vom Außenminister Javad Sarif vorgestellte Vier-Punkte-Plan für eine diplomatische Lösung des Konflikts wurde von Damaskus verworfen, da er international überwachte Wahlen vorsah, was Assad offenbar aus Prestigegründen nicht in Erwägung zieht.

Botschafter Shaybani lässt nicht durchblicken, was Teheran vorschlagen wird, wenn diplomatische Bemühungen an Fahrt aufnehmen. Eines macht er aber deutlich: „Das syrische Volk hat sich für Baschar al-Assad entschieden. Niemand hat das Recht, seinen Abgang zu verlangen: Die Erfahrung in Libyen zeigt, zu welchen Verwerfungen die Beseitigung Gaddafis geführt hat. In der jetzigen Lage muss er bleiben, bis der Terrorismus in Syrien besiegt ist.“

Übersetzung: Holger Hutt