welt.de, 12.10.2015

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article147477092/So-verkommen-ist-Erdogans-AKP-Regime.html

Anschlag von Ankara

So verkommen ist Erdogans AKP-Regime

Die Reaktionen der politisch Verantwortlichen in der Türkei auf den Anschlag mit über 100 Toten schüren die schlimmsten Befürchtungen. Die Verkommenheit des AKP-Regimes erscheint bodenlos.

Von Deniz Yuecel

Die zerfetzten Körper lagen noch auf dem Bahnhofsvorplatz von Ankara, als Mitglieder der Übergangsregierung eine erste Pressekonferenz gaben. Ob er an Rücktritt denke, fragt eine Journalistin Innenminister Selami Altinok. Seine Antwort: "Es gibt keine Versäumnisse der Sicherheitskräfte."

Die Abgeschmacktheit dieser Antwort wenige Stunden nach dem blutigsten Terroranschlag (Link: http://www.welt.de/147460493) der türkischen Geschichte wird nur übertroffen vom Grinsen des Justizministers Kenan Ipek über diese Frage. Es sind diese 58 Sekunden (Link: http://www.sozcu.com.tr/2015/gundem/selami-altinoka-istifa-edecek-misiniz-sorusu-956491/) , die alles sagen über die Verkommenheit des AKP-Regimes.

Denn in diesem Regime hat niemand Verantwortung übernommen: nicht für 32 Zivilisten, die die türkische Luftwaffe beim kurdischen Dorf Roboski getötet hat, nicht im Zusammenhang mit den 52 Toten des Terroranschlags von Reyhanli im Mai 2013, nicht für die 301 Todesopfer im Bergwerk von Soma, nicht für die Toten der Gezi-Proteste. Und so, wie niemand Verantwortung übernimmt, so wird auch nichts aufgeklärt.

Der Selbstmordattentäter, der im Juli dieses Jahres in Suruc 32 linke Aktivisten ermordete, soll dem IS angehört haben, ebenso wie der Bombenleger auf der Kundgebung der HDP kurz zuvor in Diyarbakir. Verbindungen, Auftraggeber, die Rolle staatlicher Stellen – man wird es, solange diese Regierung an der Macht ist, niemals erfahren.

Ein monströser Verdacht gegen die AKP

Nur die Opfer sind bekannt. Es sind Menschen, die auch Tayyip Erdogan, seine Medien und Anhänger als ihre Feinde sehen: Linke, Kurden, Aleviten, Atheisten.

Zudem glauben sehr viele Oppositionelle, dass staatliche Kräfte direkt in den Massenmord von Ankara (Link: http://www.welt.de/147451286) verwickelt sein könnten – ein monströser Verdacht, den man andernorts in die Weiten des Internets (Link: http://www.welt.de/147446736) verweisen würde, den man aber angesichts der türkischen Geschichte nicht sofort wegwischen kann.

Und unabhängig davon: Eine Staatsführung, die keine Verantwortung erkennen will, wenn hundert oder mehr in der Hauptstadt ermordet werden, disqualifiziert sich als Adressat für Beileidsbekundungen. Der Anschlag galt nicht der AKP-Regierung. Er galt ihren Gegnern und Kritikern.