junge Welt, 13.10.2015

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Kämpferische Antwort

Türkei: Das Attentat von Ankara sollte eine Atmosphäre der Angst schaffen. Doch die Opposition will sich nicht einschüchtern lassen und ruft zum Generalstreik auf

Von Peter Schaber

Seit Montag morgen befinden sich die Mitglieder der größten linken Gewerkschaftsverbände der Türkei im Generalstreik. Zehntausende Menschen beteiligen sich an den Protestaktionen, die den Ausstand begleiten, in Betrieben, Schulen und Universitäten finden Kundgebungen statt. Der Grund des Ausstandes ist jenes verheerende Attentat, das am vergangenen Samstag die türkische Hauptstadt erschütterte. Mindestens 128 Menschen verloren ihr Leben, als zwei Bomben inmitten einer von Gewerkschaften und linken Parteien organisierten Friedensdemonstration in Ankara detonierten. Die Bilder erschütterten die Welt: Leichen, eingehüllt in die Fahnen der links-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), abgetrennte Körperteile, weinende und unter Schock stehende Frauen, Kinder und Männer.

Während die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) unmittelbar nach dem Attentat mit der Instrumentalisierung der Bluttat begann, steht für die linke Opposition gegen das islamistisch-neoliberale Regime in Ankara fest, dass die Regierung selbst Mitschuld an dem Angriff trägt. »Das Massaker ereignete sich im Zentrum Ankaras. Also trägt die Regierung schon dadurch Verantwortung, dass sie nicht für die nötigen Sicherheitsmaßnahmen sorgte«, erklärt Eyüp Özer, Internationaler Sekretär der Vereinigten Metallarbeitergewerkschaft, gegenüber junge Welt. »Aber nicht nur das. Die AKP-Regierung hat auch die Augen vor den Aktivitäten des ›Islamischen Staates‹ in der Türkei verschlossen. So hat sie eine direkte Verantwortung für das, was geschehen ist.«

Özer erinnert an die beiden Anschläge von Diyarbakir und Suruc, bei denen ebenfalls linke Demonstranten durch Bomben getötet wurden: »All diese Gewalt hat begonnen, nachdem die AKP bei den Wahlen im Juni nicht die Ergebnisse erreichen konnte, die sie sich gewünscht hatte.« In der Tat vermuten viele Oppositionelle in der Türkei, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seine engsten Vertrauten bei den Terroranschlägen der vergangenen Wochen und Monate eine zentrale Rolle spielen. Denn die AKP-Führung hatte immer wieder betont, dass »das Chaos« nur aufhören würde, wenn ausreichende Mehrheiten für ihr Projekt der Errichtung eines autokratischen Präsidialsystems entstehen würden.

Gezielt eskalierte der türkische Staat nach dem unliebsamen Wahlergebnis vom 6. Juni, bei dem die HDP über 13 Prozent errang, den Konflikt mit der kurdischen Befreiungsbewegung rund um die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Das Ziel: Die Schaffung eines Klimas der Angst, aus dem Erdogan als mit weitreichenden Vollmachten ausgestatteter Dauerpräsident hervorgehen könnte.

Doch die Rechnung droht nicht aufzugehen. Denn die Opposition zeigt sich nach dem Anschlag über frühere Trennlinien hinweg geeint. Und sie betont, dem Terror nicht weichen zu wollen. »Wir werden keine Angst haben. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen. Wir werden nicht vergessen und nicht vergeben«, heißt es in einer Streikerklärung der Gewerkschaftsverbände DISK, KESK, TMMOB und TTB, die die Kundgebungen organisiert hatten.

Jetzt gehe es darum, die Einheit der Arbeiter gegen die Regierung in Stellung zu bringen, glaubt auch Eyüp Özer. »Unabhängig davon, wen sie wählen oder welche politische Partei sie unterstützen, jetzt muss die ganze Arbeiterklasse zusammenarbeiten, um den Frieden wiederherzustellen.«