welt.de, 12.10.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article147519868/Kurden-Christen-Araber-vereint-gegen-den-IS.html

Kurden, Christen, Araber – vereint gegen den IS

Abu Bakr al-Bagdadi, Chef der Terrormiliz Islamischer Staat, ist angeblich bei einem Luftschlag getötet worden. Aber auch ohne sein Ableben geht es dem IS an allen Fronten an den Kragen. Von Alfred Hackensberger

Abu Bakr al-Bagdadi (Link: http://www.welt.de/themen/abu-bakr-al-baghdadi/) ist ein gejagter Mann. Zehn Millionen Dollar Belohnung sind auf den Kopf des selbst ernannten Kalifen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ausgesetzt – tot oder lebendig. Jederzeit kann eine ferngelenkte Rakete sein Leben beenden – im Auto, in einem Haus, bei einem Treffen mit Feldkommandeuren.

Die irakischen Militärs meldeten nun Vollzug: Kampfflugzeuge hätten einen IS-Fahrzeugkonvoi in der Nähe zur syrischen Grenze angegriffen und bombardiert. In einem der Wagen habe der Terrorchef gesessen. Er sei auf dem Rückweg von einem Treffen mit seinen Kommandeuren gewesen. Ärzte und Bewohner der Stadt Karabla berichteten, dass acht IS-Führer bei dem Luftangriff ums Leben gekommen seien. Al-Bagdadi aber sei nicht unter den Toten.

Der Ort des Treffens sei ebenfalls bombardiert worden, viele Mitglieder der Gruppe seien getötet oder verwundet worden, hieß es in Bagdad. "Nur das Schicksal des Mörders al-Bagdadi ist unbekannt. Er wurde in einem Fahrzeug weggebracht, sein Gesundheitszustand ist unklar." Die Operation habe der irakische Geheimdienst in Zusammenarbeit mit dem Kommandozentrum in Bagdad geplant und umgesetzt. In dem Kommandozentrum sind auch amerikanische Militärberater vertreten.

Es war das dritte Mal, dass der IS-Terrorchef gezielt angegriffen wurde. Im März soll al-Bagdadi schwer verletzt worden sein, und im November vergangenen Jahres hieß es sogar, er sei durch eine Rakete ums Leben gekommen. In beiden Fällen hatte sich die IS-Medienabteilung beeilt, Audiobotschaften des IS-Führers zu senden, um die Gerüchte über seinen Tod zu zerstreuen.

Dass al-Bagdadi nicht unter den Toten gewesen ist, heißt noch gar nichts. Er könnte nach dem Luftangriff vom Tatort weggeschafft worden sein. Zu den Sicherheitsbestimmungen für den IS-Chef gehört es, dass ein medizinisches Team ständig in seinem Gefolge ist – in sicherem Abstand zum Konvoi. So ist al-Bagdadi auf regionale Krankenhäuser oder Arztpraxen nicht angewiesen.

Eine schwere Verwundung oder der Tod al-Bagdadis wäre ein herber Schlag für das Netzwerk der Extremisten. Bagdadi macht eine Abstammung direkt vom Clan des Propheten Mohammed geltend, auf den Stamm der Kureisch – eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Amt des Kalifen. Der IS dürfte größere Schwierigkeiten haben, eine religiös ebenso beleumundete Figur als Nachfolger zu präsentieren.

"Unser Kalif wird von Gott beschützt", sagte ein IS-Kämpfer. "Selbst wenn er tot sein sollte, werden wir weiterkämpfen." Typische Durchhalteparolen der Fanatiker, denen wohl auch zunehmend bewusster wird, wie prekär die Lage ihrer Miliz zunehmend wird. In Aleppo konnte der IS am Wochenende zwar neues Territorium erobern, doch nicht durch eigene Stärke, sondern durch die Nachlässigkeit seiner Gegner.

Bereit zur Rückeroberung von Mossul

Basen und Waffendepots der rivalisierenden Rebellen in Aleppo waren zuvor von russischen Kampfflugzeugen bombardiert worden. Zudem waren viele Kämpfer aus Aleppo abgezogen worden und an die Front nach Hama und Idlib geschickt, um dort die syrische Armee aufzuhalten, die mit russischer Luftunterstützung eine Bodenoffensive (Link: http://www.welt.de/147454358) gestartet hat. Durch diese Maßnahmen öffneten sich für den IS in Aleppo die Türen.

Aber vorerst nur dort. An allen anderen Fronten sieht es schlecht aus für den IS. Vor den Toren des nordirakischen Mossul sammeln sich Truppen der autonomen Kurdenregion im Irak (KRG) und arabische Einheiten der irakischen Armee, um die Stadt vom IS zurückzuerobern. "Wir sind bereit. Alles was fehlt, ist der Befehl", sagte ein Oberst der kurdischen Peschmergatruppen. "Wir halten die Terroristen solange mit kleineren Operationen auf Trab und holen uns einige ihrer Stellungen."

In Rakka, der IS-Hauptbasis in Syrien, ist die Situation ähnlich. Dort stehen die kurdische Miliz YPG und Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) nur 40 Kilometer vor der Stadt. Die YPG gab darüber hinaus bekannt, dass sich die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) neu gegründet hätten, eine neue militärische Allianz, die christliche, arabische und kurdische Rebellengruppen einbindet.

Die mehrheitlich arabischen Gruppierungen Burkan al-Furat und Jaish al-Thuwar gehören der Allianz an. Ein Teil davon hatte sich bereits an den Kämpfen in Kobani und am Vorstoß auf Rakka beteiligt. Wegen der "raschen Entwicklungen" im politischen und militärischen Bereich sei eine "geeinte nationale militärische Kraft" erforderlich, hieß es zur Begründung. Die neue Allianz mit der Unterstützung der arabischen FSA-Verbände wäre militärisch in der Lage, Rakka anzugreifen.

Rebellen schlüpfen unter den US-Schutzschirm

Voraussetzung für breit vorgetragene Angriffe auf den IS ist die Luftunterstützung durch US-Kampfflugzeuge. Aber der dürfte nichts im Wege stehen, denn zu den Freunden des Pentagons (Link: http://www.welt.de/147434865) gehören die FSA-Truppen der neuen Allianz, die bereits Waffen aus den USA beziehen. Auch zwischen Kurden und US-Regierung gibt es enge und gute Beziehungen.

Die neue Allianz könnte sich auch deshalb gegründet haben, um unter den Schutzschirm der Amerikaner zu schlüpfen und damit russischen Luftschlägen zu entgehen. Denn ob Moskau es erneut wagen würde, offizielle US-Verbündete aus der Luft zu beschießen, ist fraglich. Die EU-Außenminister forderten auf ihrem Treffen in Luxemburg jedenfalls ziemlich deutlich, dass Russland seinen Militäreinsatz gegen oppositionelle Gruppen in Syrien beenden möge. Angriffe sollten sich ausschließlich gegen den Islamischen Staat und andere von den Vereinten Nationen als terroristisch eingestufte Gruppierungen richten.

Es scheint, als suchten die vereinten IS-Gegner nun die Entscheidung. Und die Einnahme von Rakka wäre der Anfang vom Ende der Terrormiliz und ihrem Kalifat.

Aber darauf nimmt Washington keine Rücksicht, schließlich geht es um die Einnahme von Rakka und das Ende des IS. In der vergangenen Nacht warfen amerikanische Transportmaschinen bereits 50 Tonnen Munition und Waffen für die SDF in der Region Hasakah ab. Die Freunde im Norden Syriens werden für den Kampf gegen IS aufgerüstet.