junge Welt, 14.10.2015

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USA im Dschihad

Syrische Milizen erhalten neue Munitionslieferungen und verstärken Front gegen Regierungstruppen mit neuen Kämpfern

Von Arnold Schölzel

Die USA nehmen in Syrien offen Kurs auf einen Stellvertreterkrieg gegen Russland. Knapp zwei Wochen nach Beginn des militärischen Eingreifens der russischen Luftwaffe und Marine begannen die USA mit dem Abwurf von Munition, um die mit ihnen verbündeten Dschihadisten zu stärken. Frachtflugzeuge des US-Militärs hätten am Sonntag über dem Norden des Landes Schusswaffenmunition und anderes Material abgeworfen, um den »moderaten Rebellen« im Kampf gegen die Miliz »Islamischer Staat« (IS) zu helfen, hieß es in Militärkreisen in Washington. Tatsächlich dürfte es um Aufrüstung im Krieg gegen die syrische Armee gehen. Die mit dem Westen und den Feudaldiktaturen am Golf verbündeten Aufständischen sind unter Druck geraten, seit die Regierungstruppen im Schutz der russischen Luftangriffe eine Bodenoffensive starteten. Die aus Sicht des Westens »guten« Milizen verstärken nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Großbritannien ihre Stellungen an der Front nun mit zusätzlichen Kämpfern und Waffen, darunter Panzerabwehrraketen, um dem Ansturm standzuhalten. Bei den neuen Kämpfern handele es sich zumeist um Dschihadisten.

Der Munitionsabwurf sei Teil des Kurswechsels, mit dem die USA vergangene Woche ein weitgehend erfolgloses Ausbildungs- und Ausrüstungsprogramm für »gemäßigte Rebellen« aufgaben. Wem die Munition konkret zugute kommen soll und worum genau es sich handelte, wurde nicht bekanntgegeben. Ein Großteil der Waffenlieferungen werde in die Hände von Terrororganisationen fallen, kritisierte der russische Außenminister Sergej Lawrow laut Nachrichtenagentur RIA. Die Al-Nusra-Front – Al-Qaida in Syrien – rief parallel zu den US-Fördermaßnahmen am Dienstag Dschihadisten im Kaukasus zu Racheaktionen auf. »Wenn die russischen Streitkräfte die Bevölkerung in Syrien töten, dann tötet ihre Bevölkerung! Und wenn sie unsere Soldaten töten, dann tötet ihre Soldaten! Auge um Auge«, appellierte Nusra-Chef Abu Mohammed Al-Dscholani. Der Krieg in Syrien werde für Russland fürchterliche Konsequenzen haben, erklärte er in einer am Montag abend veröffentlichten Audiobotschaft. Russische Truppen würden »auf syrischem Boden zerschmettert werden«. In der russischen Botschaft in Damaskus schlugen am Dienstag zwei Raketen ein, ohne jemanden zu verletzen.

Die bisher als einzige militärisch erfolgreiche syrische Gruppe, die mit den USA kooperiert, ist die Kurdenmiliz YPG. Sie beherrscht eine autonome Zone im Norden des Landes. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International machte sie nun für Kriegsverbrechen verantwortlich: Sie habe Tausende nichtkurdische Bürger aus den von ihr kontrollierten Gebieten vertrieben und ihre Häuser zerstört. Ein YPG-Sprecher wies den Vorwurf zurück.
Konferenz: Internationalismus im 21. Jahrhundert

Der russische Staatschef Wladimir Putin warf am Dienstag in Moskau den Vereinigten Staaten mangelnde Kooperationsbereitschaft im Syrien-Krieg vor. Er fügte hinzu: »Ich glaube, einige unserer Partner haben einfach nur Brei im Kopf.« Putin betonte, Russland habe die USA zunächst um eine Liste von Angriffszielen gebeten. Dies hätten die USA abgelehnt. Washington werfe Moskau aber gleichzeitig vor, die falschen Ziele anzugreifen. »Dann haben wir noch mal nachgedacht und eine andere Frage gestellt: Dann sagt uns, wo wir nicht angreifen sollen.« Auch darauf habe Moskau keine Antwort aus Washington erhalten.

(Mit AFP und Reuters)