telepolis, 22.10.2015 http://www.heise.de/tp/artikel/46/46340/1.html Russland: Bündnis zwischen Islamischem Staat und al-Nusra? Florian Rötzer Putin will Syrienlösung herbeibomben, dazu müssen alle Assad-Gegner zu Terroristen werden Man muss mit Vorsicht zur Kenntnis nehmen, was aus Moskau über die Gegner der Assad-Regierung zu hören ist, die allesamt, also auch die von den USA unterstützten, angeblich "gemäßigten" Rebellen, als Terroristen auch mit russischen Luftangriffen bekämpft werden. So genannte Strategische Kommunikation gibt es auf allen Seiten. Während Moskau ein Interesse daran hat, alle kämpfenden Oppositionsgruppen als islamistische Terroristen zu bezeichnen, die von der syrischen Armee bekämpft werden, werden aber Gräueltaten und Kriegsverbrechen von dieser verschwiegen, beispielsweise der tausendfache Abwurf der furchtbaren Fassbomben auf Städte. Kreml-Sprecher Peskov sagte
nach dem Besuch von Assad, dass eine politische Lösung erst beginnen könne,
wenn die Terroristen besiegt seien und die Gefahr eines Auseinanderfallens
des Landes beseitig sei. Offen bleibt dabei, mit wem außer der syrischen
Regierung über eine Lösung verhandelt werden soll. Er verwies wie auch
schon Putin auf das syrische Volk, das das letzte Wort haben müsse, aber
wer und vor allem welche Oppositionsgruppen sollen es bei Verhandlungen
vertreten? Moskau hatte schon zwei Versuche gemacht, Gespräche zwischen
der Assad-Regierung und anderen Vertretern syrischer Gruppen zu starten,
allerdings ohne jedes Ergebnis. Russland hat, wie Medien und Politiker betonen, mit dem Besuch Assads in Moskau, angeblich seine Rolle bei der militärischen und politischen Lösung des Konflikts verstärkt. Damit sei ein Signal an die USA und den Westen ausgesendet worden, so Itar-Tass, dass Russland bei internationalen Verhandlungen mit am Tisch sitzen müsse. Die Hilfe für Assad ist dabei nur Mittel zum Zweck, da Putin vor allem den russischen Einfluss in der Region ausweiten und Russland wieder als Großmacht zurück ins Spiel bringen will, aber auch stets für die staatliche Autorität und Integrität gegen Oppositionsbewegungen eintritt, zumindest wenn sie den eigenen Interessen widersprechen, wie man zuletzt am Beispiel Ukraine erkennen konnte. Nach dem Gespräch hat Putin sofort mit vielen Regierungsvertretern auf "eigene Initiative" hin, wie betont wird, gesprochen, was darauf hinweist, dass er eine führende oder eine zumindest mit den USA geleichberechtige Rolle bei künftigen internationalen Verhandlungen spielen will, deren Boden die von Russland unterstützte Offensive der syrischen Armee mit bereiten soll. Im Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Erdogan zeigte es sich, dass dieser auch darauf dringt, die kurdische YPG mit zu bekämpfen, weil diese mit der PKK verbunden ist. Die syrische Kurdenpartei YPD, deren militärischer Arm die YPG ist, beabsichtigt, eine Vertretung in Moskau zu eröffnen. Dazu setzt auch Moskau ebenso wie die USA im Kampf gegen die Islamisten auf die Kurden, die wiederum eine Art Stillhalteabkommen mit der Assad-Regierung haben oder hatten. Bei der Einbeziehung der syrischen Kurden würde es mithin eine Gemeinsamkeit mit der US-Regierung geben, aber eben nicht mit der Türkei, die auf den Sturz von Assad dringt und überdies Moskau vorwirft, mit dem Angriff auf Aleppo einen weiteren Flüchtlingsstrom auszulösen. Davor hatte Erdogan schon lange gewarnt. Sollten nun wieder Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende vor der syrischen Armee, den russischen Bomben und der Hisbollah-Miliz in die Türkei fliehen, wie bereits in Ansätzen sichtbar (Aleppo: Großoffensive der syrischen Armee und Zigtausende auf der Flucht), könnte es sich Putin mit manchen europäischen Politikern verscherzen, die bislang darauf dringen, dass Russland an einer politischen Lösung unbedingt beteiligt werden müsste. Man darf gespannt sein, ob das für Freitag vereinbarte Gespräch Lawrow und Kerry sowie den Außenministern der Türkei und Saudi-Arabiens irgendeine Annäherung angesichts der Offensive der syrischen Armee bringen wird, die sich auch gegen die von den USA mit Waffen unterstützten "gemäßigten" Rebellen richtet. Es war schon zu hören, dass sich verschiedene Gruppen, die Rede war von 40, die sich zuvor auch bekämpft haben, gegen die syrische Armee zusammengeschlossen hätten, darunter auch Verbände der Freien Syrischen Armee mit al-Nusra und Ahrar al-Sham (Proxy-Krieg in Syrien?). Das russische Verteidigungsministerium, das berichtete, in den letzten 24 Stunden wieder erfolgreich 83 Ziele und 5 terroristische Gruppen, darunter den IS und al-Nusra, bombardiert zu haben, will nun aus abgehörten Telefongesprächen zwischen Kommandeuren des IS mit denen der al-Qaida-Gruppe al-Nusra erfahren haben, dass beide Gruppen sich gegen die syrische Armee erneut verbünden wollen. Generalmajor Igor Konashenkov erklärte weiter, man habe aus "verschiedenen Kanälen" erfahren, dass die sich zurückziehenden "Militanten" Minen verlegen und in Häusern und Infrastruktur Bomben anbringen würden, die sich aus der Ferne zünden lassen. Damit soll auch belegt werden, dass sie mit "terroristischen Gruppen" verbunden seien, was allerdings auch bedeuten würde, dass das russische Militär doch zwischen Militanten und Terroristen unterscheidet, auch wenn man sich bemüht, sie direkt mit islamistischen Terroristen zu verbinden. Die Taktik, beim Rückzug Straßen, Dörfer und Städte massiv zu verminen und mit Sprengfallen auszustatten, wurde vom Islamischen Staat auch im Irak praktiziert, zum Beispiel im Fall von Tikrit. Der russische Generalmajor sagte, dass viele der versteckten Bomben auch mit Zeituhren ausgestattet seien, die manchmal erst nach Wochen explodieren würden. Konahenkov meint, die Islamisten würden damit die Menschen terrorisieren wollen, die nach der "Befreiung" wieder in ihre Häuser zurückkehren. Die syrische Armee könnte so auch für alle Schäden und Zerstörungen die Islamisten verantwortlich machen, auch wenn sie sich schon längst zurückgezogen haben. Das Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) will erfahren haben, dass gestern bei einem vermutlich russischen Luftangriff auf ein Krankenhausgelände in der Stadt Sermin (Idlib) mehr als 13 Zivilisten getötet worden seien, darunter ein Phyisotherapeut, aber auch eine Krankenhauswache und ein Mitglied des Zivilschutzes, letztere müssen freilich nicht unbedingt als Zivilisten gelten, sofern die Information zutrifft. Am Dienstag hatte SOHR berichtet, dass bei den russischen Luftangriffen bislang 370 Menschen getötet worden seien, darunter 127 Zivilisten. SOHR wirft den syrischen und russischen Streitkräften bei den Luftangriffen vor, nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen zu unterscheiden. Syrische Hubschrauber hätten in den letzten 12 Monaten mehr als 20.000 Fassbomben abgeworfen, die syrischen Flugzeuge wären mehr als 18.000 Einsätze geflogen. Über 6.000 Zivilisten, darunter viele Kinder und Frauen, seien getötet und mehr als 30.000 verletzt worden. Zehntausende seien vor den Angriffen geflohen oder vertrieben worden.
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