Neue Zürcher Zeitung, 23.10.2015

http://www.nzz.ch/international/starre-fronten-in-wien-1.18634567

Gewalt im Nahen Osten

Gegensätzliche Interessen am Syriengipfel

In Wien gibt es heute einen neuen Anlauf zur Lösung der Syrien- und Nahostkrise. Ein entscheidender Akteur, Iran, ist bei dem Gipfel allerdings nicht mit von der Partie.

von Daniel Steinvorth

Wien wird am Freitag zum Hauptschauplatz internationaler Krisendiplomatie. Der amerikanische Aussenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow wollen heute gemeinsam mit den Aussenministern der Türkei und Saudiarabiens über den seit bald fünf Jahren andauernden Krieg in Syrien beraten. Im Anschluss ist auch ein Treffen des Nahost-Quartetts geplant. Die Gruppe aus Vertretern Russlands, der USA, der EU und der Uno ist besorgt über den jüngsten Gewaltausbruch zwischen Israeli und Palästinensern.

Konträre Positionender Grossmächte

Im Vorfeld des Syrien-Gipfels sind die Fronten verhärtet: Während die USA nicht nur die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) besiegen, sondern auch den syrischen Machthaber Bashar al-Asad ablösen wollen, hält Russland an seinem langjährigen Verbündeten in Damaskus fest.

Entsprechend verfolgen beide Grossmächte auch militärisch konträre Ziele. So fliegen die Amerikaner im Rahmen einer internationalen Koalition seit 2014 Luftangriffe gegen den IS und unterstützen mehrere Rebellengruppen in Syrien. Russische Kampfflugzeuge hingegen beschiessen seit Ende September nicht nur Stellungen des IS, sondern vor allem Ziele im Bürgerkriegsland, die nicht vom IS kontrolliert werden.

Russlands Präsident Wladimir Putin rief in der Schwarzmeerstadt Sotschi vor dem Aussenministertreffen zum gemeinsamen Kampf gegen den «Terror» in Syrien auf – worunter der Staatschef alle bewaffneten Gruppen versteht, die gegen das Asad-Regime kämpfen. Bei einer Niederlage Asads könnten die «Terroristen» in Damaskus einen «Brückenkopf für die globale Expansion» errichten, so Putin. Moskau unterstütze deswegen die derzeitige Bodenoffensive von Präsident Asad.

Kontroverser roter Teppich für Asad

Mit den Luftangriffen solle zugleich der Weg für eine politische Lösung freigemacht werden. Putin: «Der militärische Sieg beseitigt nicht alle Probleme, aber er kann Bedingungen schaffen für einen politischen Prozess unter Teilnahme aller gesunden, patriotischen Kräfte in der syrischen Gesellschaft.»

Die amerikanische Position könnte nicht gegensätzlicher sein. «Wir wollen eine politische Transformation, und Asad kann nicht Bestandteil davon sein», sagte Kerrys Sprecher Mark Toner vor dem Treffen in Wien. Auf Asad im Kampf gegen den IS zu bauen, komme für Washington nicht infrage, schliesslich habe der Diktator den eskalierenden Bürgerkrieg und damit auch die Ausbreitung des IS erst möglich gemacht. Verschnupft wurde im Weissen Haus auch vermerkt, dass Moskau Asad gerade erst den «roten Teppich ausgerollt» und damit dessen Position gestärkt habe. Noch kritischer als die USA sehen die Türkei und Saudiarabien, Asads Erzfeinde, Russlands militärische Parteinahme für das syrische Regime.

Teheran ist ausgeladen

Lawrow hätte auch die Teilnahme Irans am Treffen in Wien begrüsst, was die anderen Aussenminister aber offenbar blockierten. Durch seine politische und militärische Unterstützung Asads spielt Teheran aber eine entscheidende Rolle in Syrien. Alle Versuche, «ohne Iran einen äusseren Kreis von Unterstützern einer syrischen Lösung zu schaffen», seien zwecklos, bemerkte Lawrow am Donnerstag.

Ausser Syrien nehmen sich die Diplomaten in Wien eines weiteren Krisenherds an: des Konflikts zwischen Israel und Palästina. Seit Monatsbeginn sind bei Anschlägen und Auseinandersetzungen mehr als fünfzig Palästinenser und neun Israeli getötet worden. In Berlin hatte Kerry am Donnerstag deswegen auch mehrere Stunden mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu gesprochen. Es sei entscheidend, «dass all diese Hetze und all diese Gewalt aufhört», so Kerry an die Adresse beider Konfliktparteien.

Hilfloses Nahost-Quartett

Netanyahu wirft Palästinenserpräsident Mahmud Abbas vor, Israel zu unterstellen, es wolle den Status quo auf dem Tempelberg in Jerusalem ändern. Ein Streit um Besuchs- und Gebetsrechte auf der für Muslime wie Juden heiligen Stätte (dort stehen unter anderem der muslimische Felsendom und die al-Aksa-Moschee) hatte die jüngste Gewaltwelle mit ausgelöst. Für Abbas wiederum ist es die «anhaltende Besetzung und Aggression Israels», welche die Tür zu einem Religionskonflikt erst geöffnet habe.

Wie der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier rief auch die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini zu Zurückhaltung und Mässigung auf – Forderungen, die bekannt klingen und eher die Hilflosigkeit des sogenannten Nahost-Quartetts widerspiegeln, welches sich seit Jahren um eine Lösung im arabisch-israelischen Konflikt bemüht.